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Service 19. Januar 2023

Neue Antriebe verändern das Bremsengeschäft

Die Zulassungszahlen für Hybrid- und E-Fahrzeuge sind so hoch wie nie. Damit ändert sich auch das margenträchtige Bremsengeschäft. Im Gespräch mit Clément de Valon, Executive Vice President IAM bei TMD Friction, haben wir über die kommenden Herausforderungen gesprochen.

Neue Antriebskonzepte ändern auch das Bremsengeschäft – aber deutlich langsamer, als man vermuten könnte.
Neue Antriebskonzepte ändern auch das Bremsengeschäft – aber deutlich langsamer, als man vermuten könnte.

Welches sind aus Ihrer Sicht die aktuell größten Herausforderungen im Markt?

Clément de Valon: Unsere Branche muss sich auf radikale Veränderungen einstellen. Aktuelle Herausforderungen wie die Energiekrise, der Klimawandel, Lieferkettenprobleme, Fachkräftemangel sowie explodierende Kosten haben bereits einschneidende Veränderungen angestoßen. Hinzu kommen neue Marktteilnehmer, digitale Dienste und E-Commerce, die die Wettbewerbssituation mittel- und langfristig verschärfen. Die zunehmende Elektrifizierung des Fahrzeugbestands wird die gesamte Wertschöpfungskette im Ersatzteilmarkt verändern. Bis 2035 könnten je nach Region etwa 45 Prozent der Neuwagenkäufe Elektrofahrzeuge sein. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es jedoch schwierig, eine eindeutige Prognose abzugeben, denn wir befinden uns im Jahr 2023 und es ist denkbar, dass neue Lösungen diese Prognose durchaus noch verändern.

Wie unterscheiden sich die Anforderungen eines Stromers von denen eines konventionellen Fahrzeugs im Bezug auf die Bremse?

Clément de Valon: Die Elektromobilität stellt den Teilehandel vor neue Herausforderungen und wird ohne Zweifel Kosten, Bedarf und Aufwand für Wartung und Reparatur verändern. Leistungsfähige Bremssysteme in Fahrzeugen aller Art werden auch in Zukunft ein wichtiges Geschäft für die freie Werkstatt bleiben – auch wenn die starke Selbstbremswirkung des E-Motors dazu führt, dass es für geringe Verzögerungen völlig ausreicht, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Das Lieferprogramm unserer Marke Textar umfasst aktuell 99 Prozent der europäischen Fahrzeugflotte an E-Fahrzeugen und Hybriden. Damit sind wir, was die Abdeckung für elektrisch angetriebene Autos angeht, Spitzenreiter im Markt. Als Serienlieferant kennen wir zudem die Ansprüche der Fahrzeughersteller an Bremskomponenten für Elektrofahrzeuge und sind als einer von wenigen Herstellern in der Lage, die nötige Materialabstimmung vorzunehmen. Diese spielt beim E-Auto eine noch viel größere Rolle als beim Verbrenner, da der Belag auf der einen Seite nicht so aggressiv sein darf, dass Geräusche entstehen, auf der anderen Seite aber aggressiv genug sein muss, um eine gute Bremsperformance zu liefern und die Scheibe gegebenenfalls von Ablagerungen und Korrosion frei zu bremsen. Das klingt vielleicht banal – aber dahinter stecken viele Jahrzehnte Materialkompetenz und Entwicklungserfahrung. Bei uns gibt es keine Standardmischung, die für alle Fahrzeuge weltweit irgendwie funktionieren soll, sondern jeweils genau auf das Fahrzeug abgestimmte Mischungen.

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In den letzten zwei Jahren haben sich vor allem die Lieferketten als Flaschenhals herausgestellt. Wie gehen Sie mit dem Thema der Verfügbarkeit in Deutschland und Europa um?

Clément de Valon: Die aktuellen Entwicklungen haben die Perspektive auf logistische Prozesse dramatisch verändert: Bislang wurde die sofortige Verfügbarkeit vorausgesetzt, just-in-time galt als Standard und der Preis spielte die entscheidende Rolle. Mit Beginn der Pandemie hat sich das geändert und die Lieferkette hat für den Ersatzteilmarkt oberste Priorität. Wir sind überzeugt, dass auch in den nächsten Jahren die Verfügbarkeit wichtiger sein wird als der Preis. Werkstätten sind heute durchaus bereit, zehn oder 20 Prozent mehr zu zahlen, wenn sie ein Ersatzteil innerhalb einer Stunde bekommen. Das ist ein wirklicher Game Changer. Die Verfügbarkeit aller unserer Teilenummern ist daher der wichtigste Baustein unserer Strategie. Um das möglich zu machen, müssen wir sicherstellen, dass unser Lager in Deutschland, das für die Versorgung von Europa zuständig ist, ausreichend Platz und Personal hat. Das europäische Zentrallager planen wir bereits zu vergrößern, damit wir den Ersatzteilmarkt in Europa in Zukunft noch besser bedienen können. Um ausreichend Produkte auf Lager haben zu können, ist es essenziell unsere Produktionsstätten mit den richtigen Komponenten zu versorgen. Wir haben bereits vor vielen Monaten damit begonnen, kritische Beschaffungsteile aus Fernost zu europäischen Lieferanten zu verlagern.

Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft – was glauben Sie wie sich der Service in der Werkstatt in den nächsten fünf Jahren verändert?

Clément de Valon: Ich denke, der Markt ist momentan mit vielen verschiedenen Trends konfrontiert, dessen Auswirkungen niemand zum jetzigen Zeitpunkt vollständig absehen kann. Ja, die Elektrifizierung wird Auswirkungen haben. In welchem Umfang sich die Abnutzung der Bremsbeläge über die gesamte Laufleistung reduziert, ist schwierig zu prognostizieren. Uns liegen Zahlen vor, dass diese um 50 Prozent sinken könnte; andere Prognosen zeigen nur eine Reduktion um 20 Prozent. Das hängt meines Erachtens sehr stark vom Fahrzeug und vom Fahrverhalten ab.

Wir glauben, dass es noch einige andere Gründe für den Austausch von Bremsbelägen und Bremsscheiben geben wird als die Abnutzung – zum Beispiel Rost. Im Gesamtbild des Marktes muss man aber auch erwähnen, dass die Elektromobilität nicht von heute auf morgen kommt. Bis 2035 könnten fast die Hälfte der verkauften Neuwagen elektrifiziert sein. Auf den Straßen in Europa sind aktuell aber 340 Millionen Fahrzeuge mit einem Durchschnittsalter von zwölf Jahren unterwegs. Bis der Fuhrpark komplett auf Elektromobilität umgestellt ist, vergeht noch viel Zeit. Insofern ist es schwer abzuschätzen, was dieser Trend am Ende für die Werkstatt bedeutet. Darum sehen wir Bremslösungen für die Werkstatt nach wie vor als vielversprechendes Geschäft und sind sicher, dass unsere Expertise noch lange gefragt ist.

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