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Digitalisierung im Nfz 21. November 2023

Keine Kompromisse bei der Einstellung

Sind die Umfeldsensoren sind korrekt eingestellt und die Systeme ordnungsgemäß kalibriert können Fahrerassistenzsysteme Unfälle verhindern und Menschenleben retten. Doch Achtung: die Eigendiagnose erkennt nicht in jedem Fall eine Dejustage der Sensorik.

Die Umfeldsensoren sind quasi die „Sinnesorgane“ lebensrettender FAS. Schon geringfügige „Dejustagen“ können zu Fehlfunktionen führen, ohne dass sie von der Eigendiagnose erkannt werden.
Die Umfeldsensoren sind quasi die „Sinnesorgane“ lebensrettender FAS. Schon geringfügige „Dejustagen“ können zu Fehlfunktionen führen, ohne dass sie von der Eigendiagnose erkannt werden.

Auffahren im Kolonnenverkehr, Abkommen von der Fahrbahn und Aufprallen auf ein Stauende gehören zu den häufigsten Unfallursachen bei Nutzfahrzeugen – meist mit fatalen Folgen für die Beteiligten. Fahrerassistenzsysteme (FAS), die Unfälle entweder gänzlich vermeiden oder zumindest deren Auswirkungen wesentlich entschärfen, gewinnen daher immer mehr an Bedeutung. Zu den bekanntesten FAS gehören der Abstandsregeltempomat ACC (Adaptive Cruise Control) und der Notbremsassistent AEBS (Advanced Emergency Braking System). Letzterer ist in der EU schon seit 2015 für neu zugelassene Lkw über 7,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht Pflicht.

Die Kernkomponenten dieser lebensrettenden Sicherheitssysteme sind ihre Umfeldsensoren – Radar-, Lidar- und Ultraschallsensoren sowie Mono-, Stereo- und Multifunktionskameras. Quasi als „Sinnesorgane“ des Nutzfahrzeugs haben sie die Aufgabe, Fahr- beziehungsweise Verkehrssituationen zu erfassen, Abstände und Geschwindigkeiten zu anderen Fahrzeugen zu ermitteln, stehende oder bewegte Hindernisse und deren Größe zu erkennen und die Messergebnisse in elektronische Signale umzuwandeln. Auf deren Basis treffen die jeweiligen Systemsteuergeräte nicht selten lebensrettende Entscheidungen und leiten entsprechende Fahrmanöver ein. Damit die FAS bestimmungsgemäß und zuverlässig funktionieren können, ist es essentiell, dass ihre meist kamera- und radarbasierten „Argusaugen“ korrekt eingestellt und die Systeme vorschriftsmäßig kalibriert sind.

Zum Justieren und Kalibrieren von radar- und kamerabasierten FAS benötigt der Nutzfahrzeug-Profi ein optisches Einstellsystem sowie ein Diagnosetool, dessen Software ihn Schritt für Schritt durch die Kalibrier-Prozedur begleitet.
Zum Justieren und Kalibrieren von radar- und kamerabasierten FAS benötigt der Nutzfahrzeug-Profi ein optisches Einstellsystem sowie ein Diagnosetool, dessen Software ihn Schritt für Schritt durch die Kalibrier-Prozedur begleitet.

Das A und O: Korrekt eingestellte Sensoren

Prinzipiell sollte die On-Board-Diagnose (OBD) moderner Pkw und Nutzfahrzeuge erkennen, wenn an der Sensorik eines FAS etwas nicht stimmt und den Fahrer vor einem Systemausfall warnen. Dies gilt den Verkehrssicherheitsexperten der Dekra zufolge allerdings nur für deutlich verstellte Sensoren. Bei Fahrversuchen auf dem Gelände des Dekra Technology Centers am Lausitzring haben sie festgestellt, dass die Eigendiagnose nicht in jedem Fall ausreicht, um das Funktionsverhalten von FAS wie dem Notbremsassistenten (NBA) zu gewährleisten.

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Bei den Tests haben die Fachleute die Konsequenzen von „Sensor-Dejustagen“ untersucht. „Es zeigte sich, dass schon kleinste Beeinträchtigungen unterhalb der sogenannten Eigendiagnoseschwelle zu einer sicherheitsgefährdenden Funktionsstörung führen können“, berichtet Christoph Bahnert, Teamleiter für Fahrerassistenzsysteme und hochautomatisiertes Fahren bei der Dekra Automobil GmbH in Klettwitz. Zwar erfolgten die Tests mit Pkw, doch die Ergebnisse lassen sich durchaus auf Nutzfahrzeuge übertragen. Wobei es zu bedenken gilt, dass die Folgen, wenn ein vollbeladener 40-Tonnen-Sattelzug nach einer uneinsehbaren Autobahnkurve aus voller Fahrt auf ein Stauende prallt, ungleich schicksalhafter ausfallen, als wenn dies mit einem Auto geschieht.

Die Tester führten mit drei verschiedenen Fahrzeugen nach NCAP standardisierte Versuche bei 20, 40 und 60 km/h durch. Überprüft wurden zwei Szenarien: das Auffahren auf ein stehendes Fahrzeug und das Erkennen eines auf der Straße befindlichen Fußgänger-Dummys. Bei richtig justierter Kamera warnten alle drei Probanden den Fahrer frühzeitig und bremsten bis zum Stillstand vor dem jeweiligen Hindernis ab. Anschließend manipulierten die Tester die Frontkameras und verstellten diese jeweils unterhalb der Eigendiagnoseschwelle. Da die OBD kein Problem erkannte, konnte der Fahrer davon ausgehen, dass das FAS funktioniert. Dass dem nicht so war, zeigten die zum Teil fatalen Testergebnisse: Einem der Fahrzeuge gelang es nicht einmal bei lediglich 20 km/h, einen Aufprall auf das stehende Hindernis zu verhindern. „Bei 60 km/h wäre der Fußgänger von allen drei Fahrzeugen schon mit minimal beeinträchtigter Sensorik angefahren worden“, kritisiert Dekra-Experte Bahnert.

Schon geringe Abweichungen unterhalb der Eigendiagnoseschwelle können Funktionsstörungen verursachen - werden aber von der OBD nicht in jedem Fall als Fehler gewertet. Eine erfolgte Re-Kalibrierung wird mit einem Klick auf 'Bestätigen' abgeschlossen.
Schon geringe Abweichungen unterhalb der Eigendiagnoseschwelle können Funktionsstörungen verursachen - werden aber von der OBD nicht in jedem Fall als Fehler gewertet. Eine erfolgte Re-Kalibrierung wird mit einem Klick auf 'Bestätigen' abgeschlossen.

Permanent präsent: FAS in der Nutzfahrzeug-Werkstatt

Getrieben von strengeren Gesetzen hat nicht nur Zahl der sicherheitsrelevanten FAS in den vergangenen Jahren zugenommen, sondern auch deren Komplexität – und damit die Möglichkeit für Störungen. Deshalb kommt der Nutzfahrzeug-Fachmann in seinem Werkstattalltag immer häufiger mit FAS in Kontakt. Und das nicht nur, wenn er direkt daran arbeitet. Speziell kamera- und radarbasierte Sensoren sind aufgrund ihrer exponierten Einbaulage an der Windschutzscheibe oder hinter der Fahrzeugfront häufig von gefährlichen und möglicherweise unbemerkten „Dejustierungen“ betroffen. Nachfolgend einige typische Beispiele, wann ein Neu-Justieren und -Kalibrieren notwendig ist:

  • Nach Parkremplern, einem Windschutzscheibentausch oder nach Unfallreparaturen,
  • nach dem Ersatz eines FAS-Sensors oder -Steuergeräts,
  • nach Fahrwerksreparaturen mit anschließender Vermessung oder nach einer Änderung des Fahrniveaus,
  • wenn der Fehlerspeicher Meldungen wie „Keine oder falsche Grundeinstellung“ enthält,
  • wenn der Fahrer „ein komisches Fahrverhalten“ beanstandet.

Akzeptanz nur bei korrekter Funktion

Vor allem der letzte Punkt ist nicht zu unterschätzen. Es ist nämlich hinreichend bekannt, dass Trucker immer wieder FAS wie den adaptiven Abstandsregeltempomaten (ACC) oder den Spurverlassenswarner (LDW) deaktivieren, weil das System bei bestimmten Fahrsituationen „nervt“. Grund hierfür könnte ein verstellter oder falsch eingestellter Radarsensor sein. Ist beispielsweise die horizontale Ausrichtung fehlerhaft, erkennt das System die Fahrspur nicht mehr exakt und es kommt zu Fehlern beim Bestimmen der Positionen vorausfahrender Fahrzeuge.

Erfasst der dejustierte Sensor ein vermeintlich langsameres Fahrzeug auf einer Nachbarspur, löst das ACC-Steuergerät möglicherweise eine plötzliche Bremsung aus – was nachfolgende, nicht darauf vorbereitete Verkehrsteilnehmer in eine brenzlige Situation bringen kann. Stimmt dagegen die vertikale Position nicht, wirken sich bereits wenige Winkelminuten drastisch auf die Reichweite der Radarstrahlen aus. Steht der Sensor zu tief, sinkt die Reichweite, was vor allem bei hohen Geschwindigkeiten gefährlich ist und zu Auffahrunfällen führen kann.

Ähnliches gilt für eine verstellte Multifunktionskamera (MFC): „Blickt“ sie nicht korrekt in die vorgesehene Richtung, kommt es im Steuergerät zu Fehlinterpretationen, was wiederum zu Fehlfunktionen führt. Apropos Kameras: Mittlerweile überwachen sie längst nicht mehr nur den vorausfahrenden Verkehr, sondern blicken in Form von digitalen Spiegelersatzsystemen wie MirrorCam (Mercedes-Benz), OptiView (MAN) oder DDVS (DAF) auch nach hinten. Damit diese Systeme korrekt funktionieren und es nicht aufgrund von Falschanzeigen zu Rangierunfällen oder ähnlichem kommt, muss man die Kameras fachgerecht justieren und kalibrieren. Eine neue Grundeinstellung ist beispielsweise notwendig, wenn eine beschädigte Kamera oder deren Befestigungsarm erneuert wurde.

Das exakte Ausrichten der Einstelltafel für die Multifunktionskamera nach Herstellervorschrift ist Basis für eine fachgerechte Kalibrierung.
Das exakte Ausrichten der Einstelltafel für die Multifunktionskamera nach Herstellervorschrift ist Basis für eine fachgerechte Kalibrierung.
Gleiches gilt für die Justage des Radarsensors.
Gleiches gilt für die Justage des Radarsensors.

Statisch oder dynamisch?

Während FAS mit Radarsensoren statisch, also in der Werkstatt, zu kalibrieren sind, gibt es bei kamerabasierten FAS prinzipiell zwei unterschiedliche Kalibriermethoden: statisch oder dynamisch. Welches das richtige Verfahren ist, gibt der Fahrzeughersteller vor. Für die statische Kalibrierung ist sowohl optisches Mess- und Einstellequipment als auch ein geeignetes Diagnosegerät mit der entsprechenden Softwarefunktion notwendig. Beim dynamischen Kalibrieren indes handelt es sich um einen Selbsttest während einer definierten, sozusagen „softwaregeführten“ Probefahrt. Um den Kalibriervorgang zu Beginn der Probefahrt im FAS-Steuergerät anzustoßen und am Ende korrekt abzuschließen, ist auch hierfür ein Diagnosetool erforderlich.

Da es sich beim Kalibrieren eines FAS um eine sicherheitsrelevante Tätigkeit handelt, sind die Anweisungen sowohl für die statische als auch die dynamische Variante Schritt für Schritt in der Software des Diagnosegeräts hinterlegt. Am Ende des Kalibriervorgangs erhält der Werkstattfachmann eine entsprechende Statusmeldung und er kann mit einem bestätigenden Mausklick die aktuellen Werte abspeichern und den Vorgang fachgerecht abschließen.    

Der Radarsensor sitzt im „Einschussbereich“ von Hirsch und Co. Nach einer „Feindberührung“ lasst er sich via Einstellschrauben wieder in die korrekte Position bringen. Nicht wundern, die Kennzeichenhalterung ist an diesem Lkw falsch herum montiert. 
Der Radarsensor sitzt im „Einschussbereich“ von Hirsch und Co. Nach einer „Feindberührung“ lasst er sich via Einstellschrauben wieder in die korrekte Position bringen. Nicht wundern, die Kennzeichenhalterung ist an diesem Lkw falsch herum montiert. 

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