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Werkstatt-Digitalisierung 7. September 2023

„Die Anzahl der Tools muss limitiert bleiben“

Die Wirtschaft hat es gerade nicht leicht, das merken auch Werkstätten. Frédéric Baroin von Anyline und Juan I. Hahn von Hahn Network diskutieren über den Fachkräftemangel, den Umgang mit Daten und die Chancen einer Digitalisierung.

Je digitaler eine Werkstatt aufgestellt ist, desto seltener müssen Mitarbeiter zu Stift und Papier greifen. Das spart viel Zeit.
Je digitaler eine Werkstatt aufgestellt ist, desto seltener müssen Mitarbeiter zu Stift und Papier greifen. Das spart viel Zeit.

Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Ukraine-Krieg und anhaltende Lieferengpässe bei manchen Produkten – die Zeiten sind nicht einfach für die Wirtschaft. Inwieweit sind Kfz-Werkstätten davon betroffen und mit welchen Herausforderungen sehen sie sich konfrontiert?

Frédéric Baroin: Die größte Herausforderung ist der Fachkräftemangel. Ursache dessen sind neben dem demographischen Wandel auch Trends wie New Work – und da können Werkstätten einfach nicht mithalten. Aus dem Home Office heraus ein Fahrzeug zu reparieren, ist nicht möglich.

Juan I. Hahn: Zudem haben wir viel mehr freie als markengebundene Werkstätten. Diese haben weniger Zugang zu Fahrzeugdaten. Das erschwert es, eine Diagnose durchzuführen und die Reparatur oder Wartung fachgerecht umzusetzen. Deshalb ist das Thema Digitalisierung so wichtig, denn digitale Tools unterstützen Mechaniker, unabhängig von allgemeinen Daten.

Wie ist der Status quo der Digitalisierung in Werkstätten?

Frédéric Baroin: Mein Eindruck ist, dass die Digitalisierung sehr heterogen voranschreitet. Das liegt auch an der Systemlandschaft. Wenn Betriebe wachsen, kommen mehr und mehr Tools dazu und es wird unübersichtlich. Ein Datenmanagement kann aber nur effizient sein, wenn die vorhandene IT-Infrastruktur homogen aufgebaut ist.

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Juan I. Hahn: Fakt ist auch: Daten sind das Fundament der Digitalisierung. Deshalb ist es wichtig, dass nicht nur so viele Fahrzeugdaten wie möglich gemessen und digitalisiert werden, sondern dass diese Messergebnisse auch interoperabel sind. Sprich, sie lassen sich problemlos in bestehende Software wie CRM-Systeme integrieren.

Experten in Sachen Digitalisierung: Frédéric Baroin von Anyline und Juan I. Hahn von Hahn Network (v.li.). 
Experten in Sachen Digitalisierung: Frédéric Baroin von Anyline und Juan I. Hahn von Hahn Network (v.li.). 

Inzwischen gibt es am Markt eine Menge an Hard- und Software, die Arbeitsabläufe in Werkstätten effizienter gestalten. Wie können diese neuen Technologien die Werkstätten in ihren Digitalisierungsbemühungen unterstützen?

Frédéric Baroin: Grundsätzlich ist für Werkstätten jede Hard- und Software willkommen, die dem Erfassen von Daten zuträglich ist. Diese Tools vereinfachen nicht nur die Arbeitsprozesse für das Personal, sondern schaffen auch mehr Transparenz dem Kunden gegenüber.

Juan I. Hahn: Je digitaler eine Werkstatt aufgestellt ist, desto seltener müssen Mitarbeiter zu Stift und Papier greifen, und das spart einfach Zeit. Eine Software zur Automatisierung von Prozessen ist daher sinnvoll, denn sie steigert die Effizienz, reduziert Fehler und senkt Kosten. Hardware wie Diagnosegeräte identifiziert dagegen mechanische Probleme. Sind all diese Systeme vernetzt, schaffen sie einen 360°-Grad-Blick auf den Kunden und sein Fahrzeug.

Was gilt es bei der Auswahl der passenden Tools zu beachten?

Frédéric Baroin: Wichtig ist, dass die Anzahl der Tools limitiert bleibt. Es nützt wenig, wenn für jede Aufgabe eine andere Lösung Verwendung findet. Besser ist ein Tool, das alle Aufgaben erfüllt sorgt – wie etwa eine Datenerkennungssoftware. Tracking und Dokumentation durchgeführter Vehikel-Inspektionen, das Scannen der Reifenprofiltiefe und anderer Fahrzeugdaten – all das fällt im täglichen Doing an und kann dank Datenerkennungssoftware vereinfacht werden. Das ist die Best Practice.

Juan I. Hahn: Definitiv ein wichtiger Punkt. Ebenso wie der Blick auf den eigenen Ist-Zustand vor jeder Investition und die Frage: „Was brauchen wir und welches Budget steht zur Verfügung?“ Auch Mitarbeitende sollten in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden. Widerstand bei Veränderungen ist keine Seltenheit. Der Schlüssel ist hier „Benefit“. Nur wenn die Software merklich Vorteile bringt, wird sie angenommen und kommt zum Einsatz.

Können Sie erläutern, wie Werkstätten vorgehen sollten, wenn sie ihren Betrieb ganzheitlich digitalisieren wollen? Welche Stolperfallen gibt es?

Juan I. Hahn: Mangelnde technische Kompetenz kann eine Hürde darstellen. Es hilft nichts, wenn die Technologie vorhanden ist, aber niemand weiß, wie sie funktioniert. Auch der Zeitpunkt der Einführung sollte gut gewählt sein. Das heißt: nicht ausgerechnet in der Reifenwechselsaison.

Mit der Digitalisierung steigt auch die Verfügbarkeit von Daten. Wie können Kfz-Werkstätten von diesem Informationsvorsprung profitieren?

Juan I. Hahn: Daten sind das beste Instrument, um Prognosen aufzustellen, die Dienstleistung Schritt für Schritt zu verbessern und so eine langfristige Kundenbeziehung zu fördern.

Frédéric Baroin: Definitiv. Denn je mehr Informationen vorliegen, desto vorausschauender können Werkstätten Auslastung, Einkauf, Lagerhaltung und Marketing planen und optimieren. Beispielsweise verhelfen Daten zu mehr Transparenz im Wartungsgeschäft. Mit ihnen können Werkstätten die nächste Inspektion voraussagen und den Kunden rechtzeitig ansprechen. Vielleicht gibt es vorher ein Angebot für Reifen, über das der Kunde informiert wird und so Kosten spart. Das schafft ein optimales Kundenerlebnis.

Wie verändern digitale Prozesse die Kommunikation der Werkstatt mit ihren Kunden?

Frédéric Baroin: Digitale Prozesse gestalten den gesamten Ablauf für Kunden und Mitarbeitende effizienter. Auch hier hilft eine Datenerkennungssoftware zum Scannen der Fahrzeugdaten, beispielsweise als App auf dem Smartphone. Dank der Bilder, die an Kunden geschickt werden, lassen sich unter anderem Reparaturentscheidungen schneller treffen. Auch eine digitale Terminvergabe ist meist unkomplizierter. Eine gutes Beispiel ist der österreichische Reifenimporteur und -großhändler Autoplus, der in einem seinem Onlineshop die Verwendung einer mobilen Reifenscanlösung bietet. Endkunden damit in der Lage, die Fahrzeugdaten bequem und schnell einzuscannen, um zum Beispiel einen Termin auszumachen. Keine Warteschleife, kein Zahlendreher und weniger zu tun für Mitarbeitende. Also eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

Welche Chancen ergeben sich aus diesen Veränderungen für die Werkstatt?

Frédéric Baroin: Werkstätten werden so attraktiver für die junge Generation von Mechanikern und Technikern, da diese mit Technologie aufgewachsen sind und sie nicht nur beherrschen, sondern auch Lust darauf haben, sie einzusetzen.

Juan I. Hahn: Durch umfangreiche Daten können Werkstätten zudem fundierte Entscheidungen treffen oder neue Services entwickeln. Sie können sich als moderne Dienstleister positionieren und gleichzeitig neue Geschäftsmodelle anstreben. Im Zusammenhang mit der Kundenzufriedenheit verschafft ihnen das am Ende einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

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