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WM SE 25. August 2020

„Wir müssen immer agil bleiben“

Der Osnabrücker Teilegroßhändler WM SE feiert in diesem Jahr sein 75-jähriges Firmenjubiläum. Verbunden ist der runde Geburtstag mit einem Generationenwechsel. Seniorchef Hans-Heiner Müller hat das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden an seinen Sohn Bastian übergeben. Die amz hat mit beiden gesprochen.

In diesen Zeiten kann wohl nur eine Frage am Anfang stehen: Wie haben Sie die Corona-Krise im Unternehmen erlebt?

Bastian Müller: Als Ende letzten Jahres die ersten Meldungen aus China kamen und klar wurde, dass auch andere Länder betroffen sind, in denen wichtige Automobilzulieferer Produktionsstätten haben, haben wir damit angefangen, die Lagerbestände vorsichtig hochzufahren. Wir haben also recht früh reagiert, obwohl wird damals natürlich nicht wissen konnten, wie schlimm die Krise werden sollte. Das war wohl ein Geistesblitz zur rechten Zeit, weil wir dadurch nicht in Lieferengpässe gekommen sind.
Hans-Heiner Müller: Als es dann auch bei uns losging, waren wir natürlich auch verunsichert. Es wusste ja niemand, was jetzt passiert. In der Firma haben wir dann recht schnell Maßnahmen eingeleitet. Das betraf leider in erster Linie die beiden die Vertriebsmessen in Stuttgart und Berlin, die wir eigentlich im Frühjahr geplant hatten. Die haben wir sofort gecancelt. Im Mai mussten wir dann vor allem im Außendienst und in der Zentrale in Osnabrück Mitarbeiter in die Kurzarbeit schicken.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf Ihren Umsatz?

Bastian Müller: Glücklicherweise wurde ja beschlossen, dass wir als Kfz-Branche systemrelevant sind. Das hat natürlich geholfen, weil die Werkstätten weiter arbeiten konnten. Im Monat April lagen wir knapp zwanzig Prozent unter Vorjahr. Der Mai war zweigeteilt. In den ersten vierzehn Tagen waren die Rückgänge noch etwas stärker als im April. Mit den politisch beschlossenen Lockerungen und dem allgemeinen Gefühl, dass es jetzt wieder losgehen muss, wurde die zweite Monatshälfte deutlich besser. Somit haben wir den Mai insgesamt sogar leicht über dem Vorjahreswert abgeschlossen. Der Juni ist dann auch wieder ordentlich gelaufen. Insgesamt liegen wir aber Stand heute sechs bis sieben Prozent unter dem Vorjahresumsatz. Wenn man das mit anderen Branchen vergleicht, dürfen wir uns aber nicht beklagen.

Eigentlich wollten Sie auch das 75-jährige Jubiläum der Firmen Wessels und Müller feiern. Was ist daraus geworden?

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Hans-Heiner Müller: Wir haben die Feier auf das kommende Jahr verschoben. Der neue Termin ist jetzt der 21. Mai 2021. Wir feiern dann fünfundsiebzig plus eins. Wir werden den großen Festakt mit vielen Gästen, der eigentlich am 15. Mai hier in der Osnabrückhalle stattfinden sollte, dann eben ein Jahr später veranstalten.

Mit den Werkstattmessen wollen Sie schon jetzt im September durchstarten…

Bastian Müller: Richtig, die erste Messe findet jetzt am 4. und 5. September in Dortmund statt – selbstverständlich mit einem umfangreichen Hygienekonzept, das wir zusammen mit dem Messebetreiber entwickelt haben. Die Gesundheit und Sicherheit aller Aussteller, Besucher und Mitarbeiter hat oberste Priorität. Ein Teil der Messe wird daher – wie wir das schon zweimal mit Erfolg gemacht haben - online stattfinden. Der zweite Termin ist dann am 16. und 17. Oktober in München.

Bastian Müller, seit 2018 sind Sie Mehrheitsgesellschafter der WM SE. Auf der Hauptversammlung Mitte Mai haben Sie jetzt auch von Ihrem Vater das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden übernommen. Was verbinden sie damit?

Bastian Müller: Unser Unternehmen besteht bereits in dritter Generation in Familienhand und freue mich sehr, diese Tradition weiter fortführen zu dürfen. WM ist und bleibt ein Familienunternehmen, welches für mich in erster Linie für Zuverlässigkeit, Vertrauen und Qualität steht. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Dafür stehe nicht nur ich, sondern auch meine Schwester Nina Greiner, die mit einem Anteil von 46 Prozent die zweite Gesellschafterin der Firma ist. Meine Schwester war hier im Unternehmen jahrelang für das Marketing zuständig. Mit der Geburt ihrer Kinder hat sie sich aber vor einigen Jahren aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen. Im Aufsichtsrat wird sie durch ihren Ehemann Felix Greiner vertreten. Er ist seit Mai stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats.

Hans-Heiner Müller, bleiben Sie als Seniorchef weiterhin aktiv oder ziehen Sie sich in den wohlverdienten Ruhestand zurück?

Hans-Heiner Müller: Voll aktiv bin ich sicherlich nicht mehr, vor allem bin ich nicht mehr im operativen Geschäft tätig. Im Aufsichtsrat werde ich aber bleiben. Daher bin ich noch täglich im Büro, habe aber die schöne Situation, dass ich arbeiten kann, aber nicht muss. In erster Linie ist das eine beratende Funktion.

Wenn Sie an Ihre vielen Jahre in der Firma denken, was waren neben der Fusion der Firmen Wessels und Müller und der Übernahme von Trost die entscheidenden Weichenstellungen?

Hans-Heiner Müller: Das kann man so einfach nicht beantworten. Es sind natürlich sehr viele Dinge im Laufe der Jahrzehnte passiert. Das fängt schon damit an, dass ich von meinem Vater per Brief gebeten wurde, in die Firma zu kommen. Ich hatte aber damals bei der Preussag in Düsseldorf einen fantastischen Job und war gerade ausgewählt worden, für die Firma nach Japan zu gehen. Ich bin aber trotzdem zu meinem Vater gegangen. In den Folgejahren haben wir die Firma dann völlig umgekrempelt. Entscheidend war wohl rückblickend unser strategischer Ansatz, durch den Zukauf anderer Firmen größer zu werden. In Summe habe ich schätzungsweise 15 bis 20 Firmen gekauft.

Sie hatten also schon sehr früh den Ansatz, dass es Größe braucht, um als Kfz-Teilegroßhändler im Markt zu bestehen?

Hans-Heiner Müller: Absolut, die Fusion mit Wessels im Jahr 2001 war daher ein entscheidender Punkt in der Firmengeschichte. Wenn wir diese Chance damals verpasst hätten, wären wir verglichen mit den anderen großen Anbietern in Europa heute ein klitzekleiner Laden. Für den Expansionskurs war es sicherlich hilfreich, dass ich lange Zeit Aufsichtsratsvorsitzender der Augros war – da hatte ich natürlich sehr gute Kontakte zu vielen Kollegen aus der Branche. Irgendwann waren wir dann ja bekanntlich sogar in der Lage, die Firma Trost zu kaufen. Das wäre früher undenkbar gewesen, schließlich hatte Trost in etwa den gleichen Umsatz wie wir.

Gutes Stichwort. Ist die Integration der Firma Trost mittlerweile vollständig abgeschlossen?

Bastian Müller: Die kulturelle Integration ist abgeschlossen, zumindest zu den 99 Prozent, die möglich sind. Vor allem IT-seitig ist aber noch einiges zu tun, aber das ist ohnehin ein langfristiger Prozess. Darüber hinaus haben wir bei den Verkaufshäusern an manchen Standorten noch Doubletten, wo wir uns fragen, ob es besser ist, mit einem oder zwei Standorten präsent zu sein.

Deutschlandweit besteht das Vertriebsnetz der WM SE aus 160 Verkaufshäusern. Wie maximiert man angesichts der regionalen Unterschiede den Erfolg?

Bastian Müller: Mit einem hohen Grad an Autonomie. Der Verkaufsausleiter ist letztlich Unternehmer vor Ort. Wir haben dafür ein gutes System entwickelt. Abgesehen von den ganz kleinen Standorten haben wir in jedem Haus eine eigene Preisdisposition. Es wird also individuell entschieden, welche Preise sich am Markt durchsetzen lassen. Die Schwierigkeit ist natürlich, dass man als Zentrale zurückstecken muss, wenn man die Verantwortung herunterbricht. Man muss akzeptieren, dass der Verkaufshausleiter vor Ort besser weiß, was er braucht.

Auf dem deutschen Markt sind Sie seit der Trost-Übernahme stark vertreten. Wie sehen die weiteren Wachstumspläne aus? Wird Ihr Geschäft internationaler?

Bastian Müller: Mit etwa 85 Prozent Umsatzanteil ist Deutschland ist natürlich unser Hauptmarkt. Selbstverständlich werden wir weiterhin an steigenden Umsätzen und Erträgen arbeiten. Weitere Übernahmen von Teilehändlern erlaubt uns das Kartellamt aber nach dem Kauf von Trost nicht mehr. Internationale Opportunitäten gucken wir uns immer an, dass ist überhaupt keine Frage. Wir agieren aber mit Vorsicht, weil uns durchaus bewusst ist, dass wir kein internationaler Konzern sind – was wir auch nicht werden wollen. Wenn wir also entsprechende Strukturen aufbauen, dann ist das als langfristiger Prozess zu sehen.

In den USA sind Sie aber schon recht aktiv dabei…

Bastian Müller: Stimmt, auf der anderen Seite des Teichs haben wir noch Großes vor. Wir sind dort seit 2012 aktiv und haben uns vorgenommen, das dortige Geschäft weiter auszubauen. Im Moment sind wir in den USA mit einem Umsatz von 150 Mio. Euro eine relativ kleine Nummer, ich sehe aber in unserem dortigen Kerngeschäft mit europäischen Fahrzeugteilen noch viel Potenzial. Wir beobachten auch andere außereuropäische Märkte. Ein Beispiel dafür ist Kanada. Dort gibt es einen relativ starken Anteil an europäischen Fahrzeugen.

Zu den großen Herausforderungen der Branche zählen sicherlich die Aktivitäten der reinen Online-Händler? Welche Planungen haben Sie diesbezüglich?

Bastian Müller: Die Wachstumsraten, die dort zum Teil erzielt werden, sprechen natürlich für sich. Zu den Kunden zählen allerdings vor allem Endverbraucher. Daher haben wir bislang noch keine allzu große Überschneidung. Wenn man Werkstätten bedienen möchte, muss man in Sachen Verfügbarkeit, Liefergeschwindigkeit und Kundensupport ganz anders aufgestellt sein. Aktuell arbeiten wir mit Hochdruck daran, die bei uns im Unternehmen durchaus vorhandenen Versäumnisse im Onlinegeschäft aufzuholen. Denn für uns ist klar, dass wir diesen Kanal angemessen bearbeiten müssen. Allerdings werden wir im B2B-Geschäft bleiben.

Bereiten Ihnen die Aktivitäten der US-amerikanischen Giganten in Europa Sorgen? Wohin wird sich der Markt entwickeln?

Bastian Müller: Der Konsolidierungsprozess, der ungefähr 2012/2013 angefangen hat, ist sicherlich noch nicht komplett durch. Aber er ist deutlich langsamer geworden. Die ganz großen Einschläge wird es meines Erachtens auf dem Markt nicht mehr geben können. Nach ihrer Riesen-Shoppingtour in Europa in den vergangenen Jahren sind LKQ und GPC im Moment noch damit beschäftigt, sich strukturell aufzustellen. Was dann kommt, werden wir sehen.

Auch die E-Mobilität nimmt Fahrt auf. Wie stehen Sie als Kfz-Teilegroßhändler zu diesem Thema?

Bastian Müller: Eher skeptisch. Was zum Teil auf eigenen Erfahrungen beruht. Wir haben bei uns im Fuhrpark vier E-Vitos getestet. Entsprechend beladen kamen die Fahrzeuge auf eine Reichweite von vielleicht 80 Kilometern. Unser durchschnittlicher Lieferverkehr fährt aber täglich 300 bis 400 Kilometer – für unsere Zwecke waren die Fahrzeuge also nicht zu gebrauchen. Insgesamt halte ich die Elektromobilität für zu sehr politisch. Wir sollten technologisch viel offener sein und allen Alternativen eine echte Chance geben. Was unser Geschäft als Teilegroßhändler betrifft, wird sich durch die E-Autos sicherlich einiges ändern. Ich bin mir aber sicher, dass auch elektronische Komponenten kaputtgehen werden. Vielleicht werden wir irgendwann weniger Teile verkaufen, aber die werden dann ganz sicher hochwertiger sein.

Muss man sich vor diesem Hintergrund überlegen, sein Geld auch in ganz anderen Bereichen zu investieren?

Bastian Müller: Als Gruppe machen wir das durchaus schon länger. Wir haben zum Beispiel ein Tochterunternehmen, das auf Verbindungstechnik spezialisiert ist. Diversifikation ist wichtig, um Schwankungen auszugleichen. Als Familie werden wir sicherlich versuchen, andere Standbeine aufzubauen, werden dabei aber sicherlich im Bereich der Mobilität bleiben. Zusammengefasst kann man sagen, dass wir keine Angst vor der Zukunft haben. Aber, ganz klar, wir müssen uns immer wieder anpassen und agil bleiben. Das war aber schon immer so.

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