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Akustische Kamera ACAM 23. Juni 2020

Wie steht's mit der Lauschoffensive von AVL Ditest?

Die ACAM von AVL Ditest soll Unsichtbares sichtbar machen. Als Messgerät hilft es seit einem Jahr bei der Suche nach Störgeräuschen.

Auf der Automechanika 2018 räumte die AVL Ditest GmbH fünf Innovationspreise ab. Ein Grund für den Erfolg laut Gerald Lackner: die hohe Investition in Forschung und Entwicklung (auch) am Hauptsitz in Graz. Der Kfz-Diagnose- und Messtechnikspezialisten sehe Technologiewandel seit jeher als Chance und nicht als Bedrohung. „Dafür spricht eine Forschungs- und Entwicklungsrate von nahezu 20 Prozent“, ließ der Geschäftsführer jüngst bei der Vorstellung der Unternehmensbilanz wissen. Auch die deutsche Dependance im fränkischen Cadolzburg arbeitete auf die Titelverteidigung hin. Daraus wird wohl nichts. Das hatte das österreichisch-deutsche Technologieunternehmen aber nicht in der Hand.

Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung geht vor. Was für die Leitmesse in Frankfurt zur Folge hat, künftig (voraussichtlich) in ungeraden Jahren stattzufinden. Apropos Gesundheit: Was Ärzte bei ihren Patienten machen, um die Ursachen von Erkrankungen zu ergründen, wünschen sich so manche Werkstattbetreiber: Einfach mal das Auto „abhorchen“. So lautet auch das Versprechen eines Innovation Awards-Preisträger, die ACAM. Das Kürzel steht für „akustische Kamera“ und visualisiert laut AVL Ditest Störgeräusche. Moderne Fahrzeuge weisen verhältnismäßig wenig Geräuschemissionen auf, wodurch plötzlich auftretende Störgeräusche noch deutlicher wahrgenommen und beanstandet werden, heißt es zur Erklärung.

„Es pfeift hinten links“

Die Initialzündung war eine Ausschreibung von BMW. Der Autobauer suchte eine akustische Lösung für die eigenen Werkstätten. Besonders im Premiumsegment sind die Kunden kritisch und fordern Top-Qualität. So mancher SUV-Pilot steht in der Garantiezeit mit der griffigen Mangelbeschreibung im Autohaus: „Es pfeift hinten links“ oder „es rasselt im Motorraum“. Da häufig auch Kfz-Techniker nach einer Diagnosefahrt ratlos sind, gehören Suchen nach den Schallquellen zur Königsdisziplin im Servicegeschäft – diese sind komplex, langwierig und treiben Garantiekosten bzw. beschäftigen Schlichtungsstellen. Nicht wenige der Beanstandungen landen sogar vor Gericht. Als Abhilfemaßnahme schrieb der bayerische Autobauer ein Messinstrument für den Werkstattgebrauch aus. Im Industriebereich sind derartige Werkzeuge gängig, vom Akustikdesign in der Fahrzeugentwicklung bis zur Reparatur von Maschinenparks. AVL Ditest speckte bereits vorhandene Industrielösungen ab und liefert seit etwa einem Jahr eine handliche, wesentlich günstigere und damit werkstatttaugliche Lösung namens ACAM ins BMW-Netz. Das Gerät überzeugt auch Gutachter. Laut AVL Ditest wird die 8.000 Euro teure Diagnoseeinheit vom Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen (BVSK) empfohlen.

Die ACAM setzt 64 Richtmikrofone ein. Die Bereiche, von denen die Geräusche ausgehen, werden auf dem Bildschirm optisch abgebildet, je nach erfasster Lautstärke der Geräuschquelle in unterschiedlichen Farben. Die Störgeräusche lassen sich sowohl optisch wie akustisch herausfiltern. Entsprechende Aufnahmen lassen sich einerseits mit den Wahrnehmungen der Kunden abstimmen und dienen andererseits Sachverständigen zur Dokumentation und Beweisführung vor Gericht. Auch lassen sich situative Geräusche nachvollziehen, schließlich treten Pfeifen, Rasseln oder Knattern manchmal erst bei bestimmten Geschwindigkeiten oder ähnlichen besonderen Rahmenbedingungen auf.

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Übung macht den Meister

Wie bei jedem Diagnosegerät gilt: Die akustische Kamera gibt lediglich Hinweise – eine erfolgreiche Behebung hängt von der Erfahrung des Kfz-Techniker ab. Auch muss das Akustik-Einmaleins verinnerlicht werden: Durch die Richt-Mikrofone lassen sich zwar Geräusche lokalisieren, doch die Verortung der Schallquelle ist zwar ein wichtiger Schritt, jedoch nicht gleichbedeutend mit der Problembewältigung. Man muss die Kamera zum einen richtig einsetzen. Zum anderen sind die Messergebnisse auch richtig zu interpretieren. Das kennen Kfz-Techniker von ihrem normalen Diagnosegeräten: Auch bei der Auslese ist kein Klartext zu Fehler oder Lösung zu erwarten – vielmehr handelt es sich um eine Richtungsangabe. Ob es sich bei den auf den einzelnen Steuergeräten abgelegten Fehlern um das Symptom oder eine Ursache handelt, müssen erfahrene Diagnosespezialisten klären. Ähnlich verhält es sich bei der akustischen Kamera.

Beanstandete Fahrzeuge können auf Hebebühne oder Prüfstand begutachtet werden. Alternativ begeben sich die Prüfer auf Testfahrt und messen aus dem Fahrzeuginneren bzw. das Auto beim Vorbeifahren. Ein rasselndes Kettengeräusch beispielsweise lässt sich am besten bei einem stehenden Fahrzeug und geöffneter Motorhaube messen, erklärte ein Produktmanager gegenüber amz. Das Geräusch eines schlagenden Getriebes dagegen werde zumeist während der Fahrt aufgenommen. Anwender können bei der ACAM gewünschte Frequenzbereiche einstellen – je nachdem, welche Geräusche gesucht werden. Diese lassen sich im Nachhinein herausfiltern und abspeichern. Auf diese Weise lassen sich klappernde oder quietschende Innenraumgeräusche sowie Lager-, Antriebsriemen- sowie Kettengeräusche aus dem Motorraum separieren und verwerten. Auch eine Prüfung der Türdichtungen ist möglich, hieß es. Wie wichtig eine Lokalisierung ist, zeigt folgendes Beispiel: Bei einem Klappergeräusch vorne gingen Techniker erst von einem wackelnden Rückspiegel aus. Die Abnahme der Verkleidung und ACAM-Messung zeigte dann zweifelsfrei, das Geräusch stammte von der A-Säule und war über Körperschall weitergegeben worden und trat auf Spiegelhöhe aus.

Spezialdisziplin Akustik

AVL Ditest hat die ACAM auch für den freien Markt vorgesehen. Laut Anbieter bietet es spezialisierten Betrieben sogar die Möglichkeit, Aufträge von Vertragswerkstätten zu erhalten. Servicebetriebe könnten sich als Akustik-Experte etablieren und die Fehlersuche in diesem Bereich aktiv anbieten. Bislang war das akustische Vermessen von Geräuschquellen im Kfz-Werkstattbereich Akustiklaboratorien vorbehalten.

Auch ein weiterer Preisträger der 2018er Automechanika nimmt übrigens für sich in Anspruch, Unsichtbares sichtbar zu machen. Beim Multisense handelt es sich um ein Stroboscop mit gewissen Extras: im Gehäuse des Multisense sind ebenso Richtmikrofon, Magnetsensor, ein Stethoskop für Vibrationserkennung sowie ein lichtoptisches Messgerät verbaut. 

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