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Teilegroßhandel 6. Oktober 2020

Select AG: Weiter auf Kurs

Stephan Westbrock, Vorstandsvorsitzender der Select AG, spricht im amz-Interview über die aktuelle wirtschaftliche Situation, die geplante Telematik-Lösung und die neue Vertriebsstruktur seines Unternehmens.

Herr Westbrock, wie ist die Select AG durch die schlimmste Zeit der Corona-Krise gekommen?

Wir haben wie alle anderen auch mit dem April einen schlimmen Monat erlebt. Aber zum Glück eben nur im April. Das Geschäft hat danach schnell wieder angezogen, sodass wir in der Gruppe wieder auf Kurs liegen. Unter den Aktionären gab es aber durchaus Schwankungen. Der Grund dafür ist, dass nicht alle Firmen ausschließlich im Kfz-Teilehandel unterwegs sind, sondern zum Teil auch im Technischen Handel – und der hat in der Corona-Krise nicht nur gelitten, sondern ist geradezu zusammengebrochen. Im klassischen Geschäft mit Kfz-Werkstätten liegen aber alle Select-Aktionäre wieder über den Vorjahreswerten. Wenn nichts Schlimmes mehr passiert, werden wir unbeschadet aus diesem schwierigen Jahr kommen.

Wie schätzen Sie die Industrieseite ein?

Sorgen bereitet mir die Entwicklung im Neufahrzeugbereich. Die Fahrzeughersteller produzieren aktuell wieder über den Marktbedarf – mit der Konsequenz, dass die Autos nicht entsprechend abfließen können. Das kann uns unter Umständen noch Probleme bereiten, weil wir als freier Markt ebenfalls mit den OE-Zulieferern zusammenarbeiten. Wenn das Erstausrüstungsgeschäft nicht gut läuft, ist die Gefahr groß, dass bei den Zulieferern Entscheidungen getroffen werden, die sich negativ auf den IAM auswirken. Es würde ich mich daher nicht wundern, wenn es in den nächsten Jahren auf Zuliefererseite zu weiteren Fusionen oder Übernahmen kommen wird.

Die Select AG hat kürzlich Veränderungen im Vertrieb angekündigt. Was steckt dahinter?

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Wir haben vor geraumer Zeit die Entscheidung getroffen, dem Thema Werkstattsystemkonzepte nicht mehr die allergrößte Bedeutung beizumessen. Das hatte damals vor allem damit zu tun, dass wir die Vermarktungsrechte an dem System Autoexcellent verloren haben, als wir die die Group Auto Deutschland verlassen haben. Wir haben uns damals die Frage gestellt, ob wir das hundertste System in Deutschland erfinden oder einen anderen Weg gehen. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Werkstatt einen Neukunden gewinnt, nur weil ein bestimmtes Systemlogo am Gebäude hängt. Eigentlich geht es vor allem um den Werkstattinhaber und sein Team. Das gilt insbesondere für Werkstätten aus ländlichen Gebieten, in denen der Anteil der Laufkunden relativ gering ist. Und unsere Kunden sind zu 80 Prozent in der Peripherie unterwegs. Daher haben wir gesagt, dass wir die Interessen der Werkstätten in den Mittelpunkt stellen und alle Leistungsbausteine unabhängig von einer Systemzugehörigkeit über unsere Aktionäre anbieten.

Was heißt das konkret?

Ein Beispiel: Jede Werkstatt braucht ein Kundenersatzfahrzeug. Es macht aber überhaupt keinen Sinn, mit dem Kunden nur dann über ein solches Thema zu diskutieren, wenn er Mitglied eines bestimmten Systems ist. Daher haben wir uns für einen anderen Ansatz entschieden, den wir mit Select Concept überschrieben haben. Darunter finden sich alle Leistungsbausteine, die wir Werkstätten anbieten, also von der Mobilitätsgarantie bis hin zum Kundenersatzfahrzeug. Wenn die Werkstatt es wünscht, bieten wir auch Lösungen zur Außengestaltung oder den Geschäftspapieren an. Das ist aber kein Muss.

Wenn Sie also jetzt keine Systemzentrale mehr haben, wie wollen Sie „My Select“ vermarkten?

Um das Thema jetzt verstärkt den Markt zu bringen, haben wir zentral gerade einen zentralen Vertriebsmitarbeiter eingestellt. Dessen wichtigste Aufgabe wird es sein, die Außendienstmannschaften in den Aktionärshäusern zu betreuen und zu coachen. Es geht also um „train the Trainer“ und nicht darum, für den jeweiligen Aktionär den Vertrieb in den Werkstätten durchzuführen. Ziel ist es, die Kommunikation ohne Streuverluste durchgängig zu machen und den Nutzen und die Vorteile der Leistungsbausteine der „my Select-Familie“, zu der auch das Select Concept gehört, zu erklären.

Wie eng ist dabei die Bindung der Werkstätten an die Select AG?

Wir haben keine besondere Bindung. Und auch nicht mehr die üblichen Diskussionen über die Farbe der Signalisation oder die Höhe der Systemgebühr. Unsere Leistungen für die Werkstätten routen wir ohne Aufschlag einfach durch. Wenn wir einer Werkstatt ein Kundenersatzfahrzeug zur Verfügung stellen, dann verdienen wir nichts daran. Mit diesem Ansatz hatten wir zu Anfang – das will ich durchaus eingestehen – Erklärungsbedarf in den eigenen Reihen. Aber mittlerweile hat sich das durchgesetzt und die Werkstätten begrüßen es, dass sie diese Unabhängigkeit haben.

Wie viele Werkstätten nutzen die Leistungen?

Wir haben 9.300 Partner – das sind alle die Kunden, die bei uns jeden Monat für die Nutzung des Autoteilepiloten (ATP) eine Lizenzgebühr bezahlen. Das ist unser Potenzial. Wir messen das aber eher daran, wie sich Leistungen, die wir vorher nur im System angeboten haben, jetzt vervielfältigen. Und da reden wir von gut 500 zusätzlichen Partnern, die vorher nicht in einem System bei uns waren und unsere Angebote nutzen.

Einen großen Stellenwert hat bei Ihnen auch die Entwicklung einer Telematiklösung…

Richtig, das Thema Konnektivität wird am Ende des Tages über die Zukunft des freien Marktes entscheiden. Da draußen fahren 46 Mio. Autos herum, von denen mindestens 30 Mio. eine OBD2-Schnittstelle haben. Wenn der freie Werkstattmarkt keinen Zugriff mehr auf die Fahrzeuge hat, dann kann er auch nichts verkaufen. Es geht bei diesem Thema also klassisch und die Kundenbindung und die Prävention, keine Kunden zu verlieren.

Sie setzen dabei auf einen Dongle im Kundenfahrzeug. Ist das eine zukunftsträchtige Lösung?

Wir können natürlich lange darüber diskutieren, dass es super wäre, wenn wir in das Extended Vehicle hineinkommen würden. Solange das europäische Gesetz das allerdings nicht vorschreibt, bleibt uns nichts anderes übrig, als mit dem Dongle zu arbeiten. Unterm Strich ist es aber vollkommen egal, ob die Daten vom Dongle kommen oder über das Extended Vehicle. Uns war von Anfang an wichtig, dass wir auf unserer Plattform jedwede Art von Daten verarbeiten können. Wir müssen die Fehlermeldungen übersetzen und daraus Handlungsvorgaben und -empfehlungen an die Werkstatt machen. Das ist wichtig.

Welche Bedeutung hat bei diesem Projekt die Partnerschaft mit der Telekom?

Über die Partnerschaft mit der Telekom sind wir in neue Welten vorgedrungen, die wir sonst nicht erreicht hätten. Dieser Blick über den Rand unserer Branche hinweg hat uns sehr geholfen. Denn das Ganze muss so aufgebaut sein, dass es technologisch die Werkstatt nicht überfordert, aber gleichzeitig auch interessant für den Autofahrer ist. Denn nutzt der Autofahrer die App nicht, ist sie wertlos. Also brauchen wir Funktionen, die genau dafür sorgen. Das muss nicht direkt mit dem Auto etwas zu tun haben. Da hat uns die Telekom sehr geholfen mit verschiedenen Partnern.

Können Sie uns Beispiele nennen?

Das beginnt mit einem Fahrtenbuch und hört bei einer Tankstellensuche mit Preisanzeige noch lange nicht auf. Dort kann man dann bargeldlos bezahlen. In Planung sind verschiedene weitere Funktionen, die wir dann im kommenden Jahr präsentieren werden.

Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung?

Die App ist fast fertig programmiert. Ein erster klickbaren Dummy wird noch im Oktober vorliegen. Im November starten wir dann einen ersten Feldversuch mit dem realen Produkt. Ansonsten arbeiten wir im Detail noch am Design und am Namen. Die Planung sieht vor, dass wir Ende Februar bis Anfang März kommenden Jahres fertig sein werden.

Wie testen Sie die App in der Praxis?

Wir werden zum einen bei unseren Aktionären Flottenfahrzeuge mit dem Dongle ausrüsten. Zum anderen wollen wir die Kundenersatzfahrzeuge der Werkstätten in den Test mit einbeziehen. Hier reden wir von einem Bestand von 1.400 Fahrzeugen. Wir werden sicherlich nicht alle erreichen, ich gehe eher von der Hälfte aus. Aber auch dann haben wir ein belastbares Ergebnis. Den ersten Feldversuch vor zwei Jahren haben wir übrigens auch mit 40 Kundenersatzfahrzeugen gemacht. Damals ging es darum, den passenden Dongle auszuwählen.

Wie soll die Werkstatt nachher konkret von der App profitieren?

Die Werkstatt bekommt kontinuierlich Informationen darüber, was das Auto des Kunden macht. Wenn das Fahrzeug einen Servicebedarf hat, kann sie den Kunden kontaktieren und ihm ein passendes Angebot machen. Die freie Werkstatt macht damit genau das, was die Autohersteller über ihre Servicenetze heute schon machen. Um den Überblick zu behalten, wird es in unserem Online-Informationssystem Autoteilepilot ein entsprechendes Dashboard geben. Dort sieht die Werkstatt die einzelnen Kundenfahrzeuge, bei denen es aktuell eine Fehlermeldung gibt. Aktuell diskutieren wir mit den Werkstätten, welche Fehlerinformationen wir dem Kunden zeigen. Die Frage ist, ab welchem Punkt man beginnt man, den Kunden mit Informationen zu überfordern.

Sie betonen, dass Ihre Telematik-Lösung auch anderen Marktteilnehmern offenstehen soll. Das sagen aber auch andere. Warum schließen sich die Kräfte des freien Marktes nicht zusammen und bündeln ihre Kräfte?

Vom Grundsatz her ist Gemeinsamkeit sicherlich interessant, weil man Dinge nicht doppelt machen und bezahlen muss. Wenn man aber die Ansätze der Kollegen sieht, dann unterscheiden wir uns doch wesentlich. Über unsere Lösung hat man bislang noch nicht viel in der Öffentlichkeit gehört, aber wir haben im Hintergrund unsere Hausaufgaben gemacht. Wir wissen jetzt, dass wir es können und unsere Lösung funktionieren wird. Daher haben wir auch die eigenständige Gesellschaft „d-amp“ gegründet, in der wir unsere digitalen Angebote bündeln. Jede Werkstatt oder auch jeder andere Teilehändler kann das System kaufen und für sich und seine Community nutzen. Und zwar ohne jede weitere Verpflichtung, man muss dafür kein Aktionär der Select werden oder bei uns Ersatzteile einkaufen. Im Gegenteil, über entsprechende Schnittstellen wird es problemlos möglich sein, auch andere Katalogsysteme an unsere Telematiklösung anzubinden. Wir verfolgen ganz sicher nicht das Ziel, nebenbei noch möglichst viele Lizenzen für den Autoteilepiloten zu verkaufen. Insgesamt glauben wir, dass es im Markt durchaus Interesse geben könnte. Erste Kontakte mit Flotten zeigen das.

Reden wir noch ein wenig über die Entwicklungen auf dem Markt. Der Onlinehandel mit Ersatzteilen boomt. Welche Bedeutung hat das Thema für die Select AG bzw. die Aktionäre?

Die Bedeutung des Onlinehandels sehen wir weniger kritisch als vielleicht manch anderer. Viele Firmen, die mal hoch gehandelt wurden, sind längst wieder untergegangen. Nehmen wir das Beispiel ATP-Autoteile Onlineshop. Der wurde immer lobend erwähnt, weil er konsequent seinen Weg gegangen ist. Erfolgreich war er letztlich aber nicht. Wenn man sich das Onlinegeschäft genauer ansieht, stellt man schnell fest, dass vor allem die so genannten „easy Products“ verkauft werden, also Öl, Filter, Wischer oder Reifen. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass der Hobbyschrauber immer weniger in der Lage sein wird, Arbeiten an seinem Fahrzeug selbst durchzuführen. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich mich der Zukunft verschließe. Aber glauben Sie mir, wir wissen was es heißt, ein Teil ohne VIN-Nummer zu identifizieren, damit es auch wirklich zum Auto passt. Wenn das einfach wäre, hätte Amazon diesen Markt schon längst überrannt. Daher beobachte ich den Onlinemarkt mit dem notwendigen Respekt, ich bin aber weit davon entfernt, mir Sorgen darüber zu machen.

Stichwort große Wettbewerber und Amerikaner: Wie bewerten Sie die zunehmenden Aktivitäten der US-amerikanischen Playern aus dem Teilehandel, die seit einigen Jahren in Europa aktiv sind?

In Deutschland war man zu Beginn noch der Meinung, dass uns dieses Thema nicht betrifft. Aber jetzt sind die Amerikaner da – und ich bin der Überzeugung, dass diese Entwicklung weiter gehen wird. Wir haben in der letzten Dekade nach der Wirtschafts- und Finanzkrise große Veränderungen auf unserem Markt gesehen. Zum Teil aus der Notwendigkeit heraus, weil Umsätze und Erträge weggebrochen sind. Aber auch hier habe ich keine Angst vor der weiteren Entwicklung. Denn gerade dieses herausfordernde Corona-Jahr hat gezeigt, welche Kraft der unternehmergeführte Mittelstand hat. Ich glaube, dass es unser Vorteil ist, wenn ein Unternehmer hier regional entscheidet. Wenn er dann noch flexibel bleibt und schnell in seinen Entscheidungen ist, wird er immer sein Geschäft machen.

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