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Vernetzte Fahrzeuge 17. Januar 2024

Schwieriger Start für Vjumi

Telematiksysteme sind zukünftig ein Schlüsselfaktor für den Kontakt zum Autofahrer. Die Select AG bietet seit 2021 mit Vjumi eine wegweisende Lösung an. Doch bisher ist die Resonanz mau – zumindest bei den Werkstätten. Select-Chef Stephan Westbrock erläutert die Details.

Stephan Westbrock, Vorstandsvorsitzender der Select AG, ist nicht zufrieden mit der Verbreitung von Vjumi. Für die Zukunft erwartet er aber deutlich stärkeres Interesse.
Stephan Westbrock, Vorstandsvorsitzender der Select AG, ist nicht zufrieden mit der Verbreitung von Vjumi. Für die Zukunft erwartet er aber deutlich stärkeres Interesse.

Herr Westbrock, vor knapp drei Jahren hat die Select AG das Telematiksystem Vjumi vorgestellt. Die Resonanz bei den Werkstätten ist bislang eher dürftig. Wie beurteilen Sie die Situation?

Stephan Westbrock: Wir haben in Summe 3,5 Millionen Euro in das System investiert – und haben nach drei Jahren rund 8.000 Adapter im Feld. Aktuell setzen 55 Werkstätten Vjumi in Kundenfahrzeugen ein. Das ist ein Anfang, stellt uns aber noch nicht zufrieden. Um die Lösung Vjumi flächendeckend bei den Werkstätten zu positionieren, ist ein langer Atem gefragt.

Was sind die Gründe für diese ernüchternde Zwischenbilanz?

Westbrock: Es fing damit an, dass wir auf Grund der Corona-Pandemie gezwungen waren, Vjumi über ein digitales Event vorzustellen. Unseren Kongress in Stuttgart durften wir seinerzeit nicht durchführen. Das Online-Event war mit 2.500 Teilnehmern zwar grundsätzlich erfolgreich. Aber es ist natürlich etwas anderes als eine echte Präsentation vor Ort, bei der man das Gerät anfassen und sich alles erklären lassen kann. Dazu kommt, dass die Werkstätten seit der Coronazeit stark ausgelastet sind. Probleme haben die Werkstätten derzeit vor allem bei Personalthemen, aber sicherlich nicht bei der Frage, wie sie an Kunden kommen können. In einer solchen Situation bleibt kein Raum, sich mit etwas zu befassen, was erst morgen oder übermorgen wichtig wird. Das sehen wir auch bei anderen Themen wie Hochvolt und Diagnose. Es ist sicherlich eine Frage der Zeit, bis das Telematikthema für freie Werkstätten wichtig wird, aber es wird nicht mehr lange dauern. Nicht zuletzt erfordert ein in der Anwendung erklärungsbedürftiges digitales Produkt wie Vjumi eine enorme Vertriebsleistung durch den Außendienst der Select-Aktionäre. 

Es müssen also erstmal schlechtere Zeiten kommen, dass Vjumi durchstarten kann?

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Westbrock: Das würde ich so nicht sagen. Wir brauchen aber sicherlich die Situation, dass die Werkstätten nach Lösungen suchen, wie sie Geschäft generieren können. Denn Vjumi ist ja nicht für den Autofahrer entwickelt worden, sondern für die Werkstatt. Das System versetzt die Werkstatt in die Lage, kleine Flotten zu bedienen oder Predictive Maintenance anzubieten – und damit auf dem gleichen Niveau zu agieren wie ein Markenbetrieb. Letztlich muss die Werkstatt diesen Nutzen für sich erkennen, und ich bin überzeugt, das wird sie.

Aus der Praxis sind Stimmen zu hören, dass die monatliche Gebühr von 10 Euro mit einem verpflichtenden Zweijahresvertrag die Privatkunden abschreckt.

Westbrock: Das stellen wir generell nicht fest. Die meisten Werkstätten geben diesen Betrag nicht an die Autofahrer weiter. Teilweise wird der Betrag in den Stundenverrechnungssatz integriert, teilweise aber auch ganz übernommen. Denn was kann der Werkstatt Besseres passieren, als permanent über den Zustand des Kundenfahrzeugs informiert zu sein?

Das Telematiksystem Vjumi bietet dem Kunden viele Vorteile. Für eine bessere Verbreitung muss es aber der Kundschaft erklärt werden.
Das Telematiksystem Vjumi bietet dem Kunden viele Vorteile. Für eine bessere Verbreitung muss es aber der Kundschaft erklärt werden.

Zwischenzeitlich haben sich andere Formen der Nutzung ergeben. Ein Beispiel dafür ist der DRK-Rettungsdienst Mittelhessen…

Westbrock: Richtig, wir sind in Bereichen aktiv geworden sind, die wir zu Beginn nicht auf dem Schirm hatten. Das fing vor eineinhalb Jahren mit dem DRK-Rettungsdienst Mittelhessen an. Dessen 200 Fahrzeuge stehen über Vjumi permanent in Verbindung mit der Zentrale. In der Folgezeit sind dann weitere Rettungsdienste auf uns zugekommen, weil sie einen echten Nutzen für sich sehen. Bei Rettungsdiensten gibt es Besonderheiten, die wir mit Vjumi berücksichtigen konnten.

Das müssen Sie uns genauer erklären…

Westbrock: Die Zentralwerkstatt des DRK Rettungsdienst Mittelhessen kann alle relevanten Fahrzeuginformationen über ein zentrales Dashboard einsehen. Das Monitoring ermöglicht es, frühzeitig Fehlermeldungen oder drohende Ausfälle aus der Ferne zu erkennen. Durch schnelles Handeln können Schäden verhindert werden. Das ist ein bedeutendes Upgrade, denn bislang mussten Fahrzeuge beim Aufblinken der Motorkontrollleuchte anhalten und im schlimmsten Fall auf ein Ersatzfahrzeug warten. Das kann während der Fahrt zur Tankstelle, aber auch bei einem lebensrettenden Einsatz passieren. Nun lassen sich Fehler remote einsehen und einschätzen, sodass die Fahrzeuge im besten Fall einfach weiterfahren könnten. Der Anwendungsfall beim Rettungsdienst unterscheidet sich grundlegend vom Vjumi-Einsatz bei anderen Fuhrparks. Die Einsatzfähigkeit der Wagen zu jeder Zeit hat höchste Priorität und spielt eine wichtige Rolle für das Gemeinwohl.

Haben Sie den Zugang zu Autovermietern?

Westbrock: Ja, auch für deren Flottenmanagement bietet das System Vorteile. Die Autovermieter wollen den Überblick darüber haben, wie der aktuelle Kilometerstand ist, wo sich das Fahrzeug befindet und wann der nächste Service ansteht. Das kann Vjumi problemlos abdecken. Theoretisch können die Bordsysteme der Hersteller wie Mercedes Me oder BMW Connect das auch, allerdings bleiben die Informationen immer in der jeweiligen Markenwelt. Die Herstellersysteme sind nicht in der Lage, Informationen aus Fahrzeugen verschiedener Marken zu bündeln. Daher sehen wir auch in diesem Bereich viel Potenzial.

Das klingt gut. Allerdings ist das ist weit entfernt vom ursprünglichen Gedanken...

Westbrock: Richtig, und das betrachten wir als Chance. In den zuvor genannten Geschäftsbereichen außerhalb der klassischen Werkstätten hat Vjumi in kurzer Zeit beachtliche Erfolge erzielt. Wir erhalten positives Feedback und eine stetig steigende Zahl an Anfragen. Zudem finden wir in diesen Geschäftsbereichen sehr gute Skalierungsmöglichkeiten vor, mit denen wir unseren Zielen näherkommen werden. Ich bin aber überzeugt davon, dass es nicht mehr lange dauert, bis die Technik auch in den Werkstätten besser anläuft. Denn seit einigen Jahren sind neue Fahrzeuge mit Telematiksystemen ausgestattet, die jetzt nach und nach auf dem Gebrauchtwagenmarkt und damit in die freien Werkstätten kommen. Wenn die Werkstätten spüren, dass langjährige Kunden entweder gar nicht mehr kommen oder ihnen erzählen, dass sie ein Angebot von der Markenwerkstatt haben, werden sie die Notwendigkeit erkennen. Und wir sind dann mit Vjumi perfekt vorbereitet.  

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