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Rückspiegel 17. Juli 2020

Minimalauto zum Dumpingpreis

Der VW Käfer war in den ersten Nachkriegsjahren für viele Autofahrer keine Option, weil er schlicht zu teuer war. In diese Lücke sprang 1950 der Ingenieur Paul Kleinschnittger mit seinem selbstkonstruierten F 125.

Das erreichbare Ziel der Sehnsucht nach individueller Mobilität war in den Nachkriegsjahren ein billiger und sparsamer Kleinwagen. Der Ingenieur und gelernte Modellbautischler Paul Kleinschnittger (1909 – 1989) aus Arnsberg / Westfalen konstruierte mit dem Kleinstwagen F 125, einem 2,89 Meter kurzen und dank Aluminiumkarosserie 170 Kilogramm leichten Sportzweisitzer mit Klappverdeck, ein Fahrzeug, das genau in diese Zeit passte.

Angetrieben wurde das türlose Mikromobil von einem luftgekühlten Einzylinder-Zweitakter des bekannten Kleinmotorenherstellers Ilo aus Pinneberg. Er schickte aus 123 Kubikzentimetern Hubraum zunächst 4,5 PS (3,3 kW) bei 5.000/min, später 6 PS (4,4 kW) via Dreiganggetriebe mit Ratschenschaltung an die Vorderräder, verbrauchte weniger als drei Liter Zweitaktgemisch auf hundert Kilometer und erreichte 70 km/h Spitze.

Kunden standen Schlange

Am 25. April 1950 verließen die ersten fünf Zwergenautos das Werksgelände in Arnsberg, vom Hersteller mit dem vollmundigen Werbeslogan „Der Kleinstwagen für Beruf, Sport und Reise“ beworben. Zum Stückpreis von 1.995 Mark (1.020 Euro) – zum Vergleich: Der VW Standard kostete damals 4.800 Mark (2.454 Euro) – verkaufte sich das winzige Primitivauto wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Vor allem Motorradfahrer, die mit dem damaligen Führerschein Klasse 4 auch Vierradfahrzeuge bis 250 Kubikzentimeter Hubraum fahren durften, standen bei den Händlern Schlange. Ohne Murren nahmen sie den nicht vorhandenen Rückwärtsgang in Kauf und starteten den Motor wie einen Rasenmäher per Zugseil. Für 200 Mark Aufpreis, immerhin zehn Prozent des kompletten Fahrzeugpreises, gab es auf Wunsch auch einen elektrischen Anlasser samt 6-Volt-Batterie.

Beflügelt vom Verkaufserfolg des F 125, der im August 1953 sogar bei der Rallye Lissabon – Madrid in der Hubraumklasse bis 1.100 Kubikzentimeter hinter einem Porsche 356 den zweiten Platz erreicht hatte, beschloss Kleinschnittger im Herbst 1954, zusätzlich ein größeres Coupé mit Stahlblechkarosserie und 15 PS (11 kW) starkem Zweizylinder-Zweitakter zu bauen. Aber dieses Projekt erwies sich für seinen 150-Mann-Betrieb als zu groß. Im August 1957 musste er Konkurs anmelden und die Produktion des F 125 nach immerhin 2.980 Exemplaren einstellen.

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Hans W. Mayer

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