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Teilegroßhandel 17. Mai 2022

„Weitaus mehr als ein zusätzlicher Bonus“

Der mittelständische Teilegroßhandel muss Antworten auf den Konzentrationsdruck in der Branche finden. Ein Ansatz ist die jüngst gestartete „Temot Purchase Community“ (TPC). Temot-CEO Fotios Katsardis und Select-Vorstandsvorsitzender Stephan Westbrock erläutern die Hintergründe.

Temot-CEO Fotios Katsardis (li.) und Stephan Westbrock, Vorstandsvorsitzender der Select AG.
Temot-CEO Fotios Katsardis (li.) und Stephan Westbrock, Vorstandsvorsitzender der Select AG.

Einer der Vorteile international tätiger Player ist die Möglichkeit, länderübergreifend einzukaufen. Mit der Einkaufsgemeinschaft „Temot Purchase Community“ (TPC) reagiert die Handelskooperation Temot auf die Entwicklungen. Im ersten Schritt bündeln die dänische Aktieselskabet Carl Christensen (CAC) und die Select AG aus Deutschland die Potenziale. Erster Zulieferer an Bord ist NGK Spark Plug Europe.

Was waren die Beweggründe für die Gründung der TPC?

Stephan Westbrock: In den vergangenen zehn bis 15 Jahren hat es auf dem Markt gewaltige Veränderungen gegeben. So gab es nicht nur im Teilehandel den Trend hin zu immer größeren Einheiten, auch die Unternehmen der Zuliefererindustrie sind durch Übernahmen und Fusionen deutlich größer geworden – was die Kommunikation mit dem mittelständisch geprägten Teilehandel stark verändert hat. Der Verantwortliche für den Vertrieb in Europa kommt heute nicht mehr in die Select-Zentrale, er spricht nicht mehr selbst mit dem Mittelstand. Also muss ich mir etwas einfallen lassen, um bei den großen Teilehändlern mithalten zu können. Denn selbstverständlich nutzen die Großen ihre Marktmacht im Einkauf aus. Dabei geht es nicht nur um größere Mengen, sondern auch um die Kenntnis der unterschiedlichen Preise in den verschiedenen Ländern.

Fotios Katsardis: Hinter der Gründung der TPC steht also der Grundgedanke, dass der mittelständische Teilehandel die Schlagkraft der Großen hätte, wenn er seine Kräfte stärker bündeln würde. Das geht aber nur über eine zentrale Stelle. Und genau das soll der nächste Evolutionsschritt in der Temot sein. Wir wollen die vorhandenen Potenziale in der gleichen Form nutzen, wie es unsere großen Wettbewerber machen.

Warum hat man das bisher nicht getan?

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Fotios Katsardis: Der Grund dafür sind die erheblichen strukturellen Unterschiede. Die Märkte sind sehr unterschiedlich konsolidiert. Beispielsweise hat der Kfz-Teilehandel in den USA einen Konsolidierungsgrad von über 70 Prozent. In Europa liegt dieser Wert bei 30 bis 40 Prozent. Andere Märkte sind noch viel stärker fragmentiert, zum Beispiel Italien, Spanien oder Frankreich. Wir müssen daher Schritt für Schritt vorgehen. Ein Lieferant, der in einem Land wichtig ist, kann schon im Nachbarland keine Rolle spielen. Vielleicht weil er nicht die passende Struktur hat oder die Mentalität eine andere. Daher wollen wir den gemeinsamen Einkauf jetzt weiterentwickeln.

Stephan Westbrock: „In der TPC werden Select und CAC vom Lieferanten als ein Unternehmen gesehen.“
Stephan Westbrock: „In der TPC werden Select und CAC vom Lieferanten als ein Unternehmen gesehen.“

Das heißt, die Auswahl der beiden ersten Partner der TPC ist kein Zufall, weil die Märkte Deutschland und Dänemark recht ähnlich sind?

Stephan Westbrock: Nein, mit der Ähnlichkeit der Märkte hat das nichts zu tun, sondern eher etwas mit dem gleichen Mindset der handelnden Personen. Ich beschäftige mich schon sehr lange mit der Frage, eine passende Antwort auf die veränderte Wettbewerbssituation am Markt zu finden. Vor vier Jahren haben wir dann das erste Mal im Temot-Aufsichtsrat über die Möglichkeiten eines gemeinsamen Einkaufs diskutiert. Dabei stellte sich schnell heraus, dass mein Kollege Thomas Jensen von CAC aus Dänemark die gleichen Gedanken hatte.

Wie ging es dann weiter?

Stephan Westbrock: In der Anfangszeit ging es vor allem darum, eine gemeinsame Vertrauensbasis zu schaffen. Das klingt vielleicht banal, ist aber sehr wichtig für ein solches Vorhaben. Zum Beispiel haben wir uns gemeinsam mit unseren operativen Einheiten wie Marketing, IT oder Produktmanagement gegenseitig besucht. Auch haben wir uns ehrlich erklärt, was wir tun, was wir können und was wir nicht können. Irgendwann haben wir beschlossen, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Anschließend ging es darum, ein Konzept für die TPC zu entwickeln. Mit welchen Lieferanten beginnen wir? Mit welchen Warengruppen? Was können wir gemeinsam den Lieferanten bieten? Und was passiert, wenn Zusagen nicht eingehalten werden? Denn es ging uns ja nicht darum, vom Lieferanten lediglich einen zusätzlichen Bonus zu bekommen. Wir wollten eine wirklich synchronisierte Konditionierung für beide Unternehmen erreichen. Das ist ein großer Unterschied.

Wollten noch andere Unternehmen mitmachen, die zur Temot gehören?

Fotios Katsardis: Es war sicherlich eine gewisse Begeisterung unter den Mitgliedern zu spüren. Allerdings ist die Schwierigkeit in der Temot, dass wir 100 Unternehmen zusammenbringen müssen und nicht nur zwei. Und schon rein rechtlich sind unsere Mitglieder nicht auf einer solchen Ebene miteinander verbunden. Da viele rechtliche und steuerliche Aspekte zu berücksichtigen sind, müssen wir die TPC zunächst auf einer kleineren Basis realisieren. Wir starten mit einem Pilotprojekt, hinter dem aber die gesamte Organisation steht. Im nächsten Schritt kommt dann vielleicht eine andere Region der Welt hinzu. Letztlich ist es wie ein Puzzle, welches nach und nach zusammengesetzt wird. Wichtig ist es, die Dinge von Anfang an richtig zu machen. 

Stephan Westbrock: Wir haben die TPC als Projekt für zwei Jahre definiert. In dieser Zeit werden wir lernen, ob das, was wir uns vorgestellt haben, auch in der Praxis funktioniert. Also zum Beispiel die Zusage in Richtung eines Lieferantenpartners und der Dreiecksvertrag zwischen Temot, Select und CAC. Denn der macht Temot zu einer Art Schiedsstelle und soll dafür sorgen, dass die gegenseitigen Rechte und Pflichten eingehalten werden. Wir stellen damit auch unterjährig sicher, dass wir die Ziele erreichen, die wir gemeinsam dem Lieferanten zugesagt haben. Denn in der TPC werden Select und CAC vom Lieferanten als ein Unternehmen gesehen. Wer von den beiden zugesagte Pflichten nicht erfüllt hat, spielt dann keine Rolle.

Wie war die Erstreaktion der angesprochenen Lieferanten?

Stephan Westbrock: Wir haben anhand von unterschiedlichen Produktgruppen Lieferanten definiert, mit denen sowohl CAC als auch Select arbeiten. Letztlich haben sich sechs Lieferanten herauskristallisiert. Wir haben dann im vergangenen Jahr begonnen, die ersten Gespräche zu führen. Die Reaktionen reichten von spontaner Ablehnung bis hin zu großem Interesse.

Wie haben die ablehnenden Lieferanten dies begründet?

Stephan Westbrock: Der Knackpunkt ist immer die grenzüberschreitende Synchronisierung der Konditionen. Es ist kein Geheimnis, dass diese längst noch nicht synchron sind. Auch zwischen Deutschland und Dänemark gibt es erhebliche Unterschiede. Ein Lieferant war beispielsweise bereit, uns einen weiteren Bonus zu gewähren, die Synchronisierung der Preise kam für ihn aber nicht infrage. Auf der anderen Seite gab es aber auch einen Lieferanten, der unseren Ansatz vollständig unterstützte. Denn auf Grund der sich verändernden Gegebenheiten auf dem Markt und durch den Druck der großen Units aus dem Teilehandel stehen auch die Lieferanten unter dem Druck, die Konditionen international anzupassen.

Fotios Katsardis: Zudem stehen die Zulieferer zunehmend vor dem Problem, dass sie nicht in eine Abhängigkeit von wenigen Abnehmern geraten dürfen. Auf der anderen Seite gibt es neben den großen Tankern viele kleinere „Begleitschiffe“, die für die Lieferanten nicht wirklich planbar sind. Von daher gibt es Lieferanten, die die Idee TPC nicht nur begrüßen, sondern diese sogar aktiv unterstützen. Wenn es gelingt, den mittelständischen Teilegroßhandel in Europa unter einer solchen Struktur stärker zu bündeln, wird das Geschäft für Zulieferer einfacher.

Aktuell haben Sie mit NGK Spark Plug Europe den ersten Lieferanten mit an Bord. Wie viele Partner könnten es perspektivisch werden?

Fotios Katsardis: Wir arbeiten als Temot heute mit etwa 100 Lieferanten in der ganzen Welt zusammen. Es wird nicht funktionieren, diese alle in die TPC mit einzubinden. Wenn wir aber irgendwann in der Zukunft mehrere TPCs in verschiedenen Regionen der Welt haben, reicht meine Phantasie in Europa für vielleicht 45 Lieferanten. Ich würde das aber nicht an der Anzahl festmachen, sondern eher an der Produktseite. Es ist unsere Aufgabe, alle Segmente abzudecken und anhand dieser Segmente die Positionierung im Markt zu finden. Eigentlich geht es eher darum, in jeder Produktkategorie die führende Organisation zu finden.

 Fotios Katsardis: „Die Zulieferer zunehmend vor dem Problem, dass sie nicht in eine Abhängigkeit von wenigen Abnehmern geraten dürfen.“
Fotios Katsardis: „Die Zulieferer zunehmend vor dem Problem, dass sie nicht in eine Abhängigkeit von wenigen Abnehmern geraten dürfen.“

Wie wird TPC in der Praxis konkret umgesetzt? Wie ändert sich die Arbeit des Einkäufers der Select AG?

Stephan Westbrock: Unser Einkäufer wird sich ab sofort immer mit dem Einkäuferkollegen von CAC abstimmen. Es gibt keine einzelne Entscheidung eines TPC-Partners mit dem Lieferanten mehr. Deshalb ist das gegenseitige Vertrauen sehr wichtig. Auch den Faktor Mensch und seine Befindlichkeiten darf man in den operativen Strukturen nicht außer Acht lassen. Daher war es wichtig, diese vier Jahre des Kennenlernens und der engeren Zusammenarbeit in den einzelnen Units von CAC und Select zu absolvieren.

Bei zwei Partnern im TPC kann man sich das alles gut vorstellen. Aber wie soll die Abstimmung der Einkäufer erfolgen, wenn es irgendwann einmal 20 Unternehmen sind?

Stephan Westbrock: Das geht dann natürlich nur über exakt definierte Prozesse. Dafür brauchen wir eine entsprechende Software. Wie die genau aussehen wird, kann man heute noch nicht sagen.

Die Select AG hat jetzt einen dänischer Partner – hätte der Partner auch aus Südamerika oder Afrika kommen können?

Fotios Katsardis: Nein, das könnte nicht so einfach funktionieren. Vielleicht irgendwann einmal. Natürlich soll die Einkaufsgemeinschaft perspektivisch nicht bei CAC und Select bleiben. Dann hätten wir nicht viel gekonnt. Für die Weiterentwicklung ist es wichtig, wo der nächste interessierte Aktionär positioniert ist. Wenn er aus Südamerika kommt, macht das für eine Firma in Deutschland nicht viel Sinn. Zwischen Partnern aus Lateinamerika, beispielsweise Peru, Bolivien und Chile, könnte es aber gut funktionieren, weil die Strukturen in diesen Ländern recht ähnlich sind. Aber schon Brasilien würde aus verschiedenen Gründen nicht zu diesen drei Ländern passen. Denn es sind oftmals die Kleinigkeiten, die eine große Bedeutung haben können.

Stephan Westbrock: Geplant ist jetzt erstmal, für zwei Jahre zu lernen – und nicht in drei Monaten gleich den nächsten Partner mit aufzunehmen. Die Partner in anderen Regionen der Welt können und sollen dann von unseren Erfahrungen profitieren.

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