Direkt zum Inhalt
Bremsanlage 24. Oktober 2023

Verändern Newman-Teile den Bremsenmarkt?

Zunehmend ist eine Verschiebung auf dem Markt mit Bremszangen festzustellen. War das Geschäft einst fest in der Hand der Wiederaufbereitung, so setzen immer mehr Anbieter auf Neuware. Beide Seiten haben gute Argumente für ihre Position.

Das einst so sicher geglaubte Remanufacturing gerät durch „Newman“-Teile unter Druck.
Das einst so sicher geglaubte Remanufacturing gerät durch „Newman“-Teile unter Druck.

Als Komponenten noch teuer und Arbeitskraft noch (verhältnismäßig) günstig war, wurde noch deutlich mehr wirklich repariert als heute. Doch mit zunehmender Angebotsvielfalt und teurer werdender Arbeitszeit lohnt es für die Betriebe nicht mehr, einzelne Komponenten zu zerlegen und in mühevoller Arbeit aufzubereiten – dieses Geschäft übernehmen schon seit langem professionelle Aufbereiter. Doch der einst so stabile Kreislauf von Teilen gerät ins Schwanken: Bei den Fahrzeugherstellern steigt einerseits die Typenvielfalt ins Unermessliche, andererseits bieten Anbieter aus Fernost Komponenten zu Preisen an, für die hierzulande nicht einmal die Ersatzteile zur Instandsetzung der Baugruppe  zu bekommen sind. Im konkreten Fall der Bremssättel bieten auch immer mehr Aftermarketanbieter „Newman“-Bremssättel, die pfandfrei sind und die Angebotslücke schließen sollen.

Im ewigen Kreislauf der Aufbereitung

Aus wirtschaftlicher und ökologischer Sicht ist die Sache eigentlich klar: Eine Bremszange, die als Altteil in den Wiederaufbereitungskreislauf geht, lebt fast ewig – eben noch stark angerostet, sorgen Sandstrahlanlage und Galvanik für eine frische Optik, die auch die Funktionsflächen begradigt. Kolbenbohrungen, Gewinde und Planflächen werden, falls notwendig, maschinell nachbearbeitet, um wieder im Toleranzfeld zu liegen. Dabei betonen die Aufbereiter, dass für ihre Teile dieselben Standards gelten, wie für Serienteile. Neue Dichtungen und Manschetten oder auch ein neuer Motor für die elektrische Parkbremse runden das Teil ab. Nach dem finalen Funktionstest mit Belastungsprobe gehen die aufbereiteten Teile zurück in den Handel. Eigentlich fast perfekt, oder? Leider funktioniert die Aufbereitung nicht mit allen angelieferten Teilen – ist ein Bremssattel gerissen, die Bohrung komplett von Rost zerfressen oder ließ sich der Sattel nur noch mit roher Gewalt und dem Fünf-Kilo-Hammer demontieren, scheidet das Teil aus. Es braucht also immer mehr gebrauchte Teile, als später wiederaufbereitet werden können. Entsprechend ist die Aufbereitung ein Massengeschäft – doch die Masse an den einzelnen Komponenten wird immer geringer, da seitens der Fahrzeughersteller immer mehr Varianten in Umlauf gebracht werden.

Gab es früher oftmals nur die „kleine“ oder die „große“ Bremse, die ab einer gewissen Motorisierung verbaut wurde, ertrinkt man mittlerweile in Varianten: Listet der Katalog für einen Golf 3 mit kleinstem Motor ganze vier Sättel – die auch noch exakt den Nummern des etwas stärkeren 1.6 ers entsprechen, so kommen an einem Golf 7 mit 1,4-Liter-TSI je nach Ausstattungsvariante insgesamt 20 verschiedene Bremssättel zum Einsatz .

Begriffsklärung

Ad
  • Serienbremssattel: Für die Serie  oder das OES Geschäft produzierter Bremssattel, der (zum Teil) auch im Aftermarket erhältlich ist. 
  • Reman-Bremssattel: Ein aufbereiteter Bremssattel von ehemaligen Serienprodukten
  • Newman-Bremssattel: Ein 100%ig neu hergestellter Bremssattel, der jedoch ausschließlich für den Aftermarket hergestellt wird und auch von Nicht-Serienlieferanten stammen kann.

Gitterboxen voller Kapital

Doch damit es die alten Sättel zum Aufbereiter schaffen, werden sie beim Händler vor Ort gesammelt, bis eine gewisse Losgröße oder ein Abholzeitraum erreicht ist – etwa, wenn die Gitterbox voll ist. Das Pfand, welches für die gebrauchten Sättel gezahlt werden muss, liegt zwischen 30 und 50 Euro (brutto), eine volle Gitterbox entspricht also mehreren tausend Euro an gebundenem Kapital. Kein Wunder, dass dies den Handelsketten ein Dorn im Auge ist – zumal die Sammlung auch noch Platz braucht und Schmutz und Organisationsaufwand mit sich bringt. Händlern bringt dies im ersten Moment keinen Vorteil. Dieser Aufwand entfällt bei den „Newman“-Bremsen komplett: Die gebrauchten Sättel landen einfach in der Schrottkiste, weder die Werkstatt noch der Händler müssen ihrem Geld hinterher laufen beziehungsweise auf die nächste Verrechnung warten.

Newman-Bremssättel verändern den Markt

Bei Febi Bilstein setzt man ausschließlich auf Neuteile – man wolle es dem Handel und den Werkstätten so einfach wie möglich machen,
Bei Febi Bilstein setzt man ausschließlich auf Neuteile – man wolle es dem Handel und den Werkstätten so einfach wie möglich machen,

Wir haben über die Veränderungen mit verschiedenen Anbietern im Markt gesprochen, vom reinen Aufbereiter über den Mischanbieter bis zum Neuteilanbieter. Die Meinungen gehen durchaus auseinander. So sagt Lars Hähnlein, Country Manager DACH bei Aufbereiter Borg Automotive: „Die Neuware-Bremssättel, die inzwischen im Markt anzutreffen sind, wirken sich bislang nicht wesentlich auf die Geschäfte von Borg Automotive aus. Allerdings schnüren wir als Unternehmen unseren Partnern in Handel und Werkstätten auch ein Gesamtpaket, das mit kleinen Sortimenten oder Import-Produkten nur schwer zu toppen ist.

Das Argument, wiederaufgearbeitete Bremssättel würden auf Seiten des Handels viel Kapital binden, lässt Borg Automotive nicht gelten – zumindest für seine eigenen Produkte. „Natürlich wird ein gewisses Kapital gebunden und auch das Pfandsystem ist mit einem geringen administrativen Aufwand verbunden. Für kleinere Online- und Versandhändler in Europa mag Remanufacturing deshalb nicht lohnend sein. Doch für spezialisierte, professionelle Großhändler, wie sie den Aftermarket prägen, überwiegen klar die Vorteile: Sie liefern den lokalen Werkstätten qualitativ hochwertige Ersatzteile mit einem hervorragenden Preis-Leistungs-Verhältnis und geben das gebrauchte Altteil einfach an uns zurück. Und was die Kapitalbindung angeht, gibt es immer die Option, diese durch kundenindividuelle Lösungen möglichst niedrig zu halten.“

Hella Pagid bereitet Bremssättel auf, bietet aber auch neue Komponenten an. Der Hersteller beobachtet die Veränderungen im Markt. Franziska Tormöhlen, Produktmanagerin bei Hella Pagid, sagt dazu: „Die Nachfrage nach pfandfreien Bremssätteln ist spürbar gestiegen. Sie stellen mittlerweile eine für Werkstätten lohnende Alternative zu den altbewährten Bremssätteln mit Pfand dar. Aufgrund der zunehmenden Nachfrage wurde die Range von 220 auf 352 Bremssättel ausgeweitet. Den Großteil des Umsatzes stellen nach wie vor die Bremssättel mit Pfand dar, von denen wir insgesamt auch ein weitaus größeres Sortiment in Höhe von rund 1.500 Teilen anbieten.“ Bereits im vergangenen Jahr formulierte ihr Kollege, Thomas Gorkow, Director Product Management und Marketing, die Änderungen im Markt wie folgt: „Bezüglich des Nutzerverhaltens können wir feststellen, dass es eine gute Nachfrage nach den Sätteln ohne Pfand gibt. Die Reman-Sättel sind hingegen auf einem stabilen Niveau und halten ihre Position. Der Trend geht aktuell also eher zu pfandfreien Sätteln, wobei wir dem Konzept der Wiederaufbereitung ebenfalls zukünftiges Potential zutrauen, so dass wir weiterhin zweigleisig agieren.“ Eine aktuelle, erneute Produkterweiterung scheint diese These zu bestätigen.

Bei Bremsen-Schwergewicht ATE (heute Continental) setzt man vorwiegend auf Seriengeschäft und ebenfalls eine starke Aufbereitung. Henrik Ohlhaver, Product Manager Hydraulic Brake Components, schätzt die Lage wie folgt ein: „Continental ist ein Premium- und Qualitätsanbieter für Bremssysteme, zu denen auch Bremssättel zählen, und liefert diese neben dem Erstausrüstergeschäft unter der Marke ATE seit Jahrzehnten in den freien Kfz-Ersatzteilmarkt. Neben neuen OE-Teilen für die Erstausrüstung bringen wir über das ATE-Austauschprogramm für Bremssättel auch wiederaufbereitete Originalteile in Erstausrüstungsqualität zurück in den Ersatzteilmarkt (sogenannte Reman-Teile). Das ATE-Bremssattelportfolio setzt sich somit größtenteils aus neuen OE-Teilen für die Erstausrüstung sowie wiederaufbereiteten Reman-Teilen zusammen. Nur für wenige bestimmte Anwendungen kommen neu entwickelte Komponenten zum Einsatz, die ebenfalls stets nach den hohen ATE-Qualitätsanforderungen getestet und freigegeben werden. Als globaler Anbieter von Bremssystemen analysieren und beobachten wir kontinuierlich den Markt. So können wir bei Bedarf auf Veränderungen sowie neue Trends reagieren.“

Bei Aftermarketspezialist febi setzt man ausschließlich auf neue Komponenten in Erstausrüsterqualität, die laut Unternehmensaussage gut angenommen werden. „Bei wiederaufbereiteten Bremssätteln müssen die alten Produkte zurückgeschickt werden. Dieser Tausch entfällt bei den komplett neuen febi Bremssätteln. Das ist ein großer Mehrwert, denn dadurch haben Werkstätten und Handel weniger Verwaltungsarbeit. Mit febi können sie schneller arbeiten und erhalten ein hochwertiges Produkt für die zeitwertgerechte Reparatur“, so Christian Baier, Vertriebsleiter DACH bei der bilstein Group. Weiter sagt er: „Febi stellt dem freien Ersatzteilmarkt brandneue Bremssättel zu einem Preis zur Verfügung, der mit aufbereiteten Sätteln konkurrieren kann.“

Preislich auf ähnlichem Niveau

In Sachen Preisgestaltung rangieren Reman- und Newmansattel häufig auf gleichem, meist auf ähnlichem Niveau. Das macht die Sache nicht einfacher: Gegenüber einem OE-Ersatzteil des Fahrzeugherstellers spart die Werkstatt mit beiden Teilen gleich viel Geld. Die Qualitätsstandards, die an das Produkt anlegt werden, sind augenscheinlich dieselben – wie sich die Qualität dann tatsächlich im Feld wiederspiegelt, muss die Erfahrung zeigen.

Während bei der Aufbereitung die Nachhaltigkeit höher ist, spart die Neuerstellung etwas Aufwand und Bürokratie. Besonders mittelfristig könnte es daher interessant werden, welche Produktart das Rennen für sich entscheiden wird: Die Stromer verändern schon heute den Aftermarket, besonders viele Bremssättel dürften hier nicht mehr als Gebrauchtteile in den Markt kommen, was potenziell für eine Verschiebung in Richtung der Neuteile spricht.

Zu früh für ein echtes Fazit

Für eine echte Einschätzung, wie nachhaltig die Newman-Bremsen den Independet Aftermarket verändern werden, ist es noch zu früh. Wir werden jedoch das Thema beobachten und in einiger Zeit noch einmal mit den beteiligten Herstellern und Händlern sprechen – wenn die Produkte Zeit hatten, sich am Markt zu bewähren.

Passend zu diesem Artikel