Direkt zum Inhalt
Nutzfahrzeuge 17. Januar 2023

Service an Harnstoff-Einspritzsystemen

Dank komplexer SCR-Abgasreinigungssysteme schaffen es moderne Nutzfahrzeuge, die strengen Grenzwerte der Abgasgesetzgebung zu unterbieten. Damit dies über die gesamte Betriebsdauer so bleibt, muss das Harnstoffeinspritzsystem regelmäßig gewartet werden.

Um die strengen Abgasgrenzwerte erfüllen zu können, setzt der Großteil der ‚Big Seven‘ bei der Abgasnachbehandlung auf die SCR-(Selective Catalytic Reduction)-Technologie. SCR-Systeme gibt es bei Nutzfahrzeugen allerdings nicht erst seit der Euro-VI-Norm. Herstellerabhängig ist die Technologie schon bei verschiedenen Euro IV- und Euro V-Nutzfahrzeugen ab zirka 2005 zu finden.

Zu den Hauptkomponenten einer SCR-Abgasreinigungsanlage gehört ein Harnstoffeinspritzsystem, etwa die weit verbreitete „Denoxtronic“ von Bosch. Die modular aufgebaute Denoxtronic wird in Lkw, Bussen, Land- und Baumaschinen sowie stationären Anlagen (Stromerzeuger) verbaut. Entsprechend hoch ist dadurch der Servicebedarf. Die fachgerechte Wartung der Harnstoffeinspritzung ist sicherlich keine Raketenwissenschaft, dennoch sollte der Nutzfahrzeugfachmann einige wichtige Punkte beachten, damit die Funktion der Abgasreinigung erhalten bleibt – und unnötige Liegenbleiber gar nicht erst passieren.

So sieht es im Inneren einer SCR-Anlage aus, wenn die Harnstoffeinspritzung nicht richtig funktioniert oder der Adblue-Tank fehlerhaft befüllt wurde.
So sieht es im Inneren einer SCR-Anlage aus, wenn die Harnstoffeinspritzung nicht richtig funktioniert oder der Adblue-Tank fehlerhaft befüllt wurde.

Funktionsprinzip

Bei der SCR-Abgasnachbehandlung wird dem Abgas kennfeldgesteuert Ammoniak (NH3) als Reduktionsmittel beigemischt, was die giftigen Stickoxidemissionen (NOx) um rund 85 Prozent reduziert. Bei der Reduktionsflüssigkeit, auch unter dem Handelsnamen „AdBlue“ bekannt, handelt es sich um eine Harnstoff-Wasser-Lösung, welche zu 32,5 Prozent aus technisch reinem, synthetischem Harnstoff und zu 67,5 Prozent aus demineralisiertem Wasser besteht. Adblue ist farblos, ungiftig, wasserlöslich und biologisch abbaubar und wird in einem separaten Tank mitgeführt. Die Flüssigkeit gelangt über die Düse eines unmittelbarer vor dem SCR-Katalysator platzierten Dosiermoduls fein zerstäubt in den Abgasstrom. Eine chemische Reaktion wandelt die vom Motor emittierten, giftigen Stickoxide größtenteils in Wasser (H2O) und ungiftigen Stickstoff (N2) um.

Ad

Unterschiedliche Einspritzverfahren

Während die erste Anlagengeneration, die Denoxtronic I (ab 2005), die Harnstofflösung druckluftunterstützt eindüst, geschieht dies bei der Denoxtronic II (ab 2006) mit Hilfe einer Membranpumpe. Diese saugt das Reduktionsmittel aus dem Tank und bringt es auf den für die optimale Zerstäubung erforderlichen Systemdruck. Dieser wiederum wird über die Drehzahl des Pumpenmotors geregelt. Die zur NOx-Reduktion erforderliche Menge AdBlue wird von der Düse des Dosiermodul feinzerstäubt in den Abgasstrom gespritzt.

Die Berechnung der vom jeweiligen Motorbetriebspunkt abhängigen Harnstoffmenge erledigt das Dosiersteuergerät, welches über einen CAN-Bus in das Motormanagementsystem eingebunden ist und das Einspritzventil durch ein pulsweitenmoduliertes Signal ansteuert. Eine weitere wichtige Komponente ist der Harnstofffilter. Er verhindert, dass auf dem Weg vom AdBlue-Tank zum Einspritzventil Verschmutzungen in die Harnstofflösung gelangen – was zu Funktionsstörungen und im Extremfall zum Liegenbleiben des Fahrzeugs führen würde.

Beim Austausch des Dosiermoduls sollten Nutzfahrzeug-Profis alle Schläuche und Leitungen ebenfalls auswechseln und auf strikte Sauberkeit sowie den festen Sitz der Verschraubungen und der elektrischen Verbindungen achten.
Beim Austausch des Dosiermoduls sollten Nutzfahrzeug-Profis alle Schläuche und Leitungen ebenfalls auswechseln und auf strikte Sauberkeit sowie den festen Sitz der Verschraubungen und der elektrischen Verbindungen achten.

Regelmäßige Systemwartung notwendig

Die SCR-Technologie gilt prinzipiell als zuverlässig, dennoch verlangt das Harnstoffeinspritzsystem eine gewisse Wartung, wobei der jeweilige Fahrzeug- beziehungsweise Motorenhersteller das Intervall vorgibt. Nach bestimmten Kilometerlaufleistungen beziehungsweise Betriebsstunden ist dann unter anderem sowohl der Vor- als auch der Fein- beziehungsweise Hauptfilter zu wechseln. Der Vorfilter befindet sich in der Zulaufleitung zum Pumpenmodul und hält gröbere Verschmutzungen (> 100 μm) zurück, beispielsweise Straßenschmutz, der beim Nachfüllen in den (Kunststoff-)Tank gelangt ist.

Der Hauptfilter indes sitzt direkt im Pumpenmodul und übernimmt die Feinstfiltrierung, indem er Partikel bis zirka 10 μm zurückhält. Nach dem Filter gelangt das Reduktionsmittel in das Dosiermodul beziehungsweise zirkuliert über den Rücklauf zurück in den AdBlue-Tank. Beim Filterwechsel muss der Werkstattfachmann zudem das System spülen, entlüften und verschiedene Systemprüfungen vornehmen um sicherzustellen, dass die Einspritzung nach dem Service wieder ordnungsgemäß funktioniert.

Harnstofffilter gibt es in unterschiedlichen Versionen, abhängig vom Lieferanten und der Generation der Harnstoffeinspritzsystems.
Harnstofffilter gibt es in unterschiedlichen Versionen, abhängig vom Lieferanten und der Generation der Harnstoffeinspritzsystems.

Bei Fehlern am Harnstoffeinspritzsystem erhält der Fahrer zunächst einen Hinweis per Warnleuchte, je nach Fehlerschwere schaltet das Motorsteuergerät aber auch in ein Notlaufprogramm, wobei es herstellerabhängig verschiedene Eskalationsstufen gibt. Üblich ist, dass das Motormanagement in einer ersten Stufe das Drehmoment deutlich reduziert. Wird der Fehler nicht zeitnah behoben, ist schließlich eine Weiterfahrt nur noch im Schritttempo möglich. Im Extremfall unterbindet das Steuergerät den Wiederstart des Motors.

Spezielles Equipment

Um Wartungs- und Reparaturarbeiten an der Harnstoffeinspritzung herstellerkonform erledigen zu können, ist spezielles Equipment notwendig. Neben einem Diagnosetester, um das System zum Filterwechsel drucklos zu machen, den Fehlerspeicher auszulesen und verschiedene Prüf- und Einstellroutinen vorzunehmen zu können, sind dies vor allem auch manuelle Prüftools. Diese Spezialwerkzeuge sind in Form eines ‚Harnstoff-Prüfkoffers’ entweder über die Serviceorganisation des Fahrzeugherstellers oder Systemlieferanten erhältlich. Universell einsetzbar und mehrmarkentauglich ist das Equipment auch bei Werkzeugspezialisten wie Lehnert Tools oder Autotestgeräte Leitenberger zu bekommen.

Spezialwerkzeug: Der universell einsetzbare ‚Denox‘-Koffer von Lehnert Tools enthält alle notwendigen Utensilien für die manuelle Prüfung des Harnstoffeinspritzsystems.
Spezialwerkzeug: Der universell einsetzbare ‚Denox‘-Koffer von Lehnert Tools enthält alle notwendigen Utensilien für die manuelle Prüfung des Harnstoffeinspritzsystems.

Die Prüfkoffer enthalten alles Notwendige – modellspezifische Anschlussadapter, Prüfschläuche, Verlängerungskabel, Messbecher, eine elektronische Waage sowie diverses Haltezubehör –, um das Harnstoffdosiersystem zusammen mit dem Diagnosegerät umfassend zu prüfen. Ein spezielles Öltest-Papier, um zu ermitteln, ob sich etwa Dieselkraftstoff oder Motoröl im Harnstoffsystem befindet, ergänzt den Inhalt. Zusätzlich empfiehlt sich ein Refraktometer, um die Harnstoffqualität zu prüfen.

Systemtests mit dem Diagnosetester

Zu den regelmäßigen Systemprüfungen gehören das Auslesen des Fehlerspeichers sowie die Abfrage aller relevanten Steuergeräte-Parameter mit dem Diagnosetester. Mit dessen Hilfe kann der Werkstattfachmann bei einer Fehlersuche Soll-Ist-Vergleiche und Stellgliedtests vornehmen. Über die Istwert-Auslese lassen sich beispielsweise der Druckaufbau im System, die Dichtigkeit oder das Einspritzen des Dosierventils prüfen. Dabei stellt das Diagnosetool die Prüfwerte entweder als reine Zahlenwerte oder in Diagrammform, etwa als Balkengraphik, dar.

Der Stellgliedtest dagegen steuert die entsprechenden Komponenten, etwa die Membranpumpe oder das elektromagnetische Ventil im Dosiermodul, über die Prüfsoftware an, so dass sich anhand des Motorgeräuschs der Pumpe oder dem Klicken des Ventils die prinzipielle Funktion feststellen lässt. Mit dem Testgerät lässt sich auch die Funktion des Heizsystems (Harnstoff gefriert ab ca. -11 °C!) prüfen sowie das gesamte System Entleeren und Spülen, um eingedrungenen Schmutz zu entfernen.

Bei Fehlern am SCR- beziehungsweise Harnstoffeinspritzsystem sollte der Werkstattfachmann immer auch an den NOx-Sensor als mögliche Fehlerquelle denken.
Bei Fehlern am SCR- beziehungsweise Harnstoffeinspritzsystem sollte der Werkstattfachmann immer auch an den NOx-Sensor als mögliche Fehlerquelle denken.

Spezielle Prüfungen

Allerdings lassen sich nicht alle notwendigen Prüfungen am Harnstoffsystem mit dem Diagnosegerät erledigen. Wenn es beispielsweise darum geht, die Einspritzmenge oder das Spritzbild des Dosierventils genauer unter die Lupe zu nehmen oder dessen Dichtigkeit zu prüfen, schlägt die Stunde der Spezialwerkzeugkoffer.

Die meisten weiterführenden Tests lassen sich damit schnell erledigen, teilweise sogar, ohne das Dosiermodul ausbauen zu müssen: Zunächst das Modul mit hersteller- beziehungsweise modellspezifischen Anschlusskupplungen, Prüfschläuchen und Verlängerungskabeln in den Prüfkreislauf einschleifen. Dann den leeren Messbecher auf die elektronische Waage stellen, das Bechergewicht notieren oder die Tara-Funktion der Waage aktivieren und das Dosiermodul in den Messbecher halten und am Diagnosetester die gewünschte Prüfroutine aktivieren.

Der Tester steuert dann selbständig die einzelnen Schritte: Förderpumpe aktivieren, bis der Systemdruck erreicht ist und das Dosierventil die Harnstofflösung in den Messbecher spritzt. Der Druckaufbau lässt sich am Testerdisplay verfolgen, das Spritzbild im Messbecher beobachten. Nach einer definierten Zeit stoppt der Tester den Einspritzvorgang und leert das System, um es wieder drucklos zu machen. Nun kann der Werkstattfachmann die aktuelle Ist-Einspritzmenge auf der Waage ermitteln und mit dem vorgegebenen Sollwert vergleichen.

TIPP: Sie interessieren sich für das Nfz-Gewerbe und den Autoteilehandel? Der amz.de-Newsletter informiert Sie aktuell über Entwicklungen und Hintergründe. Jetzt gleich anmelden!

Das Harnstoffeinspritzsystem einer SCR-Abgasreinigungsanlage ist in regelmäßigen Intervallen zu prüfen und zu warten. Neben einem Diagnosegerät ist dazu zusätzlich spezielles Equipment für bestimmte manuelle Tests notwendig.
Das Harnstoffeinspritzsystem einer SCR-Abgasreinigungsanlage ist in regelmäßigen Intervallen zu prüfen und zu warten. Neben einem Diagnosegerät ist dazu zusätzlich spezielles Equipment für bestimmte manuelle Tests notwendig.

Passend zu diesem Artikel