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Motortechnik 3. März 2022

Der Dreizylinder – Fluch oder Segen?

Downsizing hieß vor zehn Jahren das Gebot der Stunde. Immer weiter verschärfte Emissions- und CO2-Vorschriften ließen seinerzeit mit dem Dreizylinder eine neue Motorengeneration entstehen. Die anfängliche Skepsis war groß – doch war sie auch berechtigt?

Vor einem Jahrzehnt war Ford der Wegbereiter der Dreizylinder-Technologie. Der kompakte 1,0-Liter-EcoBoost-Motor wurde in der Kategorie „Bester Motor bis 1 Liter Hubraum“ mehrfach als „Engine of the Year“ ausgezeichnet.
Vor einem Jahrzehnt war Ford der Wegbereiter der Dreizylinder-Technologie. Der kompakte 1,0-Liter-EcoBoost-Motor wurde in der Kategorie „Bester Motor bis 1 Liter Hubraum“ mehrfach als „Engine of the Year“ ausgezeichnet.

Der Dreizylinder wurde mit großen Worten als Königsweg zwischen Ökologie und Ökonomie angekündigt. Den Anfang machte Ford, es folgten diverse andere Hersteller. Die Vorteile des Downsizings, also der Reduzierung von Zylinderzahl, Hubraum und Gewicht, lagen auf der Hand: Dreizylinder sind kleiner, leichter, besitzen weniger bewegte Teile und sind billiger in der Produktion. Skeptiker warnten allerdings, dass diese Schrumpfkur die Standfestigkeit der Triebwerke reduzieren könnte, und schon bald verunsicherten Schauergeschichten in den sozialen Medien potenzielle Kunden. Die Meinungen der Fachleute zu diesem Thema sind bis heute geteilt.

Hinweise auf vermehrte Motorschäden könnte eventuell die Statistik des Gebrauchtwagenversicherers Car Garantie geben. Die zeigt jedoch in den letzten Jahren keinen spektakulären Anstieg. Allerdings lagen Motorschäden 2020 in der gesamten Schadenregulierungssumme der Neuwagen-Anschlussgarantie mit einem Anteil von 21,4 Prozent auf Platz eins aller Baugruppenschäden, was nicht unbedingt für überragende Lebensdauer moderner Motoren spricht.

„Langzeitqualität sinkt“

„Der steigende Kostendruck bei den Herstellern und immer mehr Elektronik führen offenbar dazu, dass die Langzeitqualität sinkt“, so die Einschätzung von Thomas Schuster, Prüfingenieur und Motorenexperte bei der Sachverständigenorganisation KÜS. „Downsizing und das Streben nach immer höherer Effizienz, also Verringerung von Hubraum und Zylinderzahl, gepaart mit dem verstärkten Einsatz von Turboladern, haben mit hoher Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf die Lebensdauer der Triebwerke“, erklärt Schuster.

Mit einer Leistung von 261 PS  aus 1,6-Litern Hubraum ist der Toyota Yaris GR der aktuelle Rekordhalter unter den Dreizylindern. 
Mit einer Leistung von 261 PS  aus 1,6-Litern Hubraum ist der Toyota Yaris GR der aktuelle Rekordhalter unter den Dreizylindern. 
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In dieselbe Richtung zielt die Aussage von Bernd Liebig, der in seiner Doppelfunktion als Sachverständiger für die Beurteilung von Motorschäden und Geschäftsstellenleiter der Gütegemeinschaft der Motoreninstand-setzungsbetriebe (GMI) direkt an der Front sitzt: „Die Komplexität der Verbrennungsmotoren hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich erhöht, beispielsweise durch immer aufwendigere Software, Auflade- und Abgasreinigungssysteme.“ Weil die Motorsteuerung bei sich ankündigenden Defekten oder zunehmendem Verschleiß bereits im Frühstadium automatisch nachregele, würden eventuelle Veränderungen im Fahrbetrieb zunächst unbemerkt bleiben. „Werden dann die definierten Grenzwerte überschritten, ist der Schaden meist schon eingetreten“, sagt Liebig. Durch das verbreitete Downsizing der Triebwerke könne sich deren Standfestigkeit verringern, weil beispielsweise das Kolbenmaterial durch hohe thermische und mechanische Belastung vorzeitig ermüde oder auch andere Bauteile keine Reserven mehr für mechanische oder thermische Überlastungen besitzen würden.

Keine Erfindung der Neuzeit

Hubraumschwache Dreizylinder sind keineswegs eine Erfindung der Neuzeit. Sie gehörten beispielsweise bis 1968 zum Markenkern des längst verblichenen deutschen Autobauers DKW,  wo sie neben Limousinen, Cabrios, Coupés und Kombis auch den Bundeswehr-Geländewagen Munga antrieben. In den ostdeutschen Wartburg-Modellen überlebte der Dreizylinder-Zweitakter noch zwanzig Jahre länger bis 1988.

Ein rundes Vierteljahrhundert später erlebte der Dreizylinder –  diesmal ausschließlich als Viertakter – eine unerwartete Renaissance. Als europäischer Wegbereiter gilt Ford, wo bereits 2012 ein aufgeladener Reihendreizylinder mit nur 998 Kubikzentimeter Hubraum, aber bis zu 125 PS (92 kW), in den Modellen Fiesta, Focus, B-Max und C-Max sein Debüt gab.  Die extrem hohe Literleistung von mehr als 100 PS, die Maximaldrehzahl von 6000/min und die hohe Kompression von bis zu 12 : 1, klassische Merkmale hochgezüchteter Rennmotoren also, weckten naturgemäß nicht nur bei potenziellen Kunden Bedenken in Bezug auf Standfestigkeit und Lebensdauer.

Der 1.0 TSI-Motor von Volkswagen ist in den Modellen Up, Polo, Golf, T-Cross und T-Roc im Einsatz.
Der 1.0 TSI-Motor von Volkswagen ist in den Modellen Up, Polo, Golf, T-Cross und T-Roc im Einsatz.

Das sieht Raimund Heubel, Manager Antriebsstrangentwicklung Pkw bei Ford Europa, anders: „Die Vorteile unseres Eco Boost-Reihendreizylinders sind geringer Kraftstoffverbrauch, Minimierung von Reibungsverlusten und ein hoher effektiver Mitteldruck durch das hohe Verdichtungsverhältnis in Kombination mit dem Radial-Axial-Turbolader.“ Für einige Baureihen bietet Ford den 1,0-Liter-Dreizylinder auch in Kombination mit Mildhybrid-Technologie (48 Volt) und einer Leistung von 155 PS (114 kW) an, sowohl für Fahrzeuge mit Schaltgetriebe als auch mit Automatikgetriebe. Heubel: „Vor allem wegen seiner sehr sauberen Kraftstoffverbrennung ist dieser Motor im Hinblick auf verschärfte Emissionsgesetze zukunftssicher.“

Anspruchsvolle Tests

Einschnitte bei der Lebenserwartung seien trotz der hohen spezifischen Leistung nicht zu erwarten, so Heubel. „Dank seines innovativen Kühlsystems, das sich jeweils an unterschiedliche Lastzustände – Leerlauf, Normal- und Volllast – anpasst, ist der Eco Boost-Dreizylinder standfest und hat vor der Markteinführung anspruchsvolle Tests zur Dauerhaltbarkeit unter extremen Bedingungen mit Bravour bestanden.“ Die Praxis habe inzwischen bewiesen, dass er bei entsprechender Wartung problemlos mehrere Hunderttausend Kilometer halte.

Nach der Premiere bei Ford sprangen von 2014 an fast alle europäischen Wettbewerber ebenfalls auf den Dreizylinder-Zug auf. Opel installierte ihn in den Baureihen Adam, Karl, Corsa, Combo, Insignia und Crossland, Volkswagen im Up, Polo, Golf, T-Cross und T-Roc. Auch bei den Konzernmarken Skoda, Seat und Audi findet er sich im Angebot, lediglich bei Porsche ist er kein Thema. Der Smart kam bereits 1998 mit einem Dreizylinder-Heckmotor auf die Welt und behielt ihn bis 2020, als er durch ein Elektroaggregat abgelöst wurde. In etlichen japanischen und koreanischen Klein- und Kompaktwagen waren und sind kleinvolumige Dreizylinder teilweise bereits seit mehr als drei Jahrzehnten Standardantrieb, zum Beispiel im Daihatsu Cuore, Mitsubishi Colt, Nissan Micra oder Subaru Justy.

Selbst im Premiumsegment, außer bei Mercedes-Benz, ist der Dreizylinder inzwischen hoffähig geworden. So ist er beispielsweise im 155.000 Euro teuren BMW-Roadster i8 mit beachtlichen 231 PS (170 kW) aus nur eineinhalb Litern Hubraum maßgeblich an der Systemleistung des Hybrid-Sportwagens von 374 PS (275 kW) beteiligt. In der 1er- und 2er-Baureihe tun Dreizylinder ebenfalls Dienst, was nicht auf ungeteilte Begeisterung trifft: „Kunden, die vorher einen Vier- oder Sechszylinder besaßen, stören sich an der gewöhnungsbedürftigen Laufkultur“, berichtet der Inhaber eines baden-württembergischen Autohauses. „Außerdem hatten wir bereits mehrere Motorschäden bei Laufleistungen von deutlich unter 100.000 Kilometern.“

Auch im Hybrid-Sportwagen BMW i8 werkelt ein aufgeladener Dreizylinder-Ottomotor. 
Auch im Hybrid-Sportwagen BMW i8 werkelt ein aufgeladener Dreizylinder-Ottomotor. 

Generelle Nachteile der Bonsai-Motoren sieht Professor Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen im Karlsruher Institut für Technologie (KIT), nicht: „Man kann natürlich leidenschaftlich über Zylinderzahlen diskutieren, aber einen direkten Zusammenhang mit erhöhter Reparaturanfälligkeit sehe ich nicht. Als Ottomotor hat sich der Dreizylinder sehr gut etabliert, da 70 bis 90 kW Leistung für die meisten Fahrzeuge absolut ausreichen“, so sein Fazit. Sinnvoll für eine effiziente CO2-Reduzierung sei die Kombination eines sehr sparsamen Selbstzünders von 1,4 bis 1,6 Litern Hubraum mit einem 25 kW - Elektromotor. Damit ließen sich Verbrauchswerte von drei bis vier Litern Diesel realisieren. „Mich ärgert, dass die aktuellen Regeln solche sinnvollen Lösungen verhindern. Ernsthafte Bemühungen zur CO2-Verringerung nehme ich deshalb der Politik nicht ab“, betont Koch.

Das Fazit aus Pro und Contra: Man muss Dreizylinder nicht unbedingt lieben, aber wir werden mit ihnen leben müssen, solange es noch Verbrenner gibt. (Hans W. Mayer)

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