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Das Zentralhirn künftiger Autos

Der CAN-Bus steht vor einer Ablösung: Die Bordnetzarchitektur aus den 1980er Jahren wird aktuellen Fahrzeugen kaum noch gerecht und sorgt für eine wahre Flut an Steuergeräten. Nun steht ein Paradigmenwechsel bevor: Künftig sollten wenige Hochleistungs- Supercomputer dabei die Aufgabe der heute bis zu 150 Einzelsteuergeräte im Auto übernehmen. 

Zentralcomputer statt dutzender Steuergeräte: Dem Bordnetz statt ein großer Wandel bevor
Zentralcomputer statt dutzender Steuergeräte: Dem Bordnetz statt ein großer Wandel bevor

Über viele Jahre galt bei der Automobilentwicklung der Grundsatz, dass neue Fahrzeugfunktion automatisch zusätzliche Steuergeräte bedeuten, die ins weitverzweigte Elektroniknetz des Fahrzeugs integriert werden mussten. Bei High-End-Fahrzeugen haben sich so mittlerweile bis zu 150 Controller angesammelt, und selbst in Kleinwagen mit Basisausstattung sind es zwischen 30 und 50 Steuergeräte, die im Fahrzeug als abgeschlossene Einheiten arbeiten und auch nur eingeschränkt kompatibel sind. Daraus entsteht eine Komplexität, die kaum noch beherrschbar ist, zumal sich viele Zukunftsentwicklungen wie das automatisierte Fahren nur durch eine starke Vernetzung der Steuergeräte in der elektrischen/elektronischen Architektur des Fahrzeugs umsetzen lassen.

Zu den Herausforderungen bei der Hardware kommt die Datenexplosion: Hatte ein Auto vor zehn Jahren noch rund zehn Millionen Zeilen Software-Code, wird die Software von automatisiert fahrenden Fahrzeugen nach Hochrechnungen der Unternehmensberatung Roland Berger zwischen 300 und 500 Millionen Codezeilen umfassen. Zur Einordnung: Eine Million Zeilen Code entsprechen rund 18 000 gedruckten Textseiten. Fachleute schätzen, dass bereits heute schon rund 90 Prozent der Fahrzeuginnovationen aus den Bereichen Software und Elektronik kommen – Tendenz steigend. „Software bestimmt künftig maßgeblich die Fähigkeiten und Eigenschaften von Fahrzeugen. Sie sorgt dafür, dass Autos immer smarter werden und liefert Autofahrern einen erlebbaren Mehrwert“, sagt Harald Kröger, Geschäftsführer von Bosch.

Mit diesen Anforderungen an die Soft- und Hardware kündigt sich eine gänzlich neue Herangehensweise an die Funktionsentwicklung an. Ihre technische Basis sind neue Topologien, deren Aufbau an Serverstrukturen erinnert: In einer vernetzten E/E-Fahrzeugarchitektur übernehmen wenige Hochleistungsrechner die immer umfassenderen Aufgaben der vielen dezentralen Steuergeräte. Sie bilden einen universellen Hardware-Grundbaustein, auf dem die separat erstellte Funktions-Software läuft. In den Knotenpunkten laufen alle Informationen des Fahrzeugs zusammen. Dank enormer Rechenleistung von mehreren Milliarden Operationen pro Sekunde verarbeiten die Zentralrechner selbst große Datenmengen, wie sie für das automatisierte Fahren, datenbasierte Dienste und permanente Software-Updates erforderlich sind. Da diese Fahrzeugcomputer sowohl für Cockpit- und Vernetzungsfunktionen, für Fahrerassistenzsysteme und automatisiertes Fahren sowie den Antrieb in einer übergreifenden Einheit entwickelt werden, entsteht eine durchgängige IT-Architektur für das gesamte Fahrzeug.

Statt vieler einzelner Steuergeräte sollten künftig zentrale und leistungsstärkere Computer das Ruder übernehmen
Statt vieler einzelner Steuergeräte sollten künftig zentrale und leistungsstärkere Computer das Ruder übernehmen

Ein Vorreiter dieser Entwicklung ist Tesla. Die sogenannte Hardware 3, mit dem das Model 3 sowie Model S und Model X ausgerüstet sind, steuert zentral alle automatisierten Fahrfunktionen und das Infotainmentsystem. Dazu wurden zwei flüssigkeitsgekühlte Hochleistungsrechner in einem Bauteil zusammengefasst. Der erste Chip ist für die Fahrfunktionen, der zweite für das Infotainment zuständig. Die Software ist mithilfe künstlicher Intelligenz programmiert und vor allem „Over-the-Air“ updatefähig.

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Aber auch andere Automobilhersteller sind in diesem Zukunftsbereich führend. „Car.Software“ nennt sich die neue Organisation, in der der Volkswagen-Konzern die Elektronikentwicklung derzeit zentralisiert. Der Fokus liegt auf der Umsetzung einheitlicher Softwareumfänge für alle Marken und Märkte. Hauptpfeiler der Entwicklung sind das Fahrzeugbetriebssystem VW.OS inklusive Anbindung an die Datencloud sowie die neue elektrische/elektronische Architektur „E3“. Dabei verschmelzen die bislang im Fahrzeug verteilten Steuergeräte wie bei Tesla zu einer zentralen Ebene mit zwei Hochleistungsrechnern. Grundlegende Funktionen wie Antriebs- und Bremsenmanagement verbleiben allerdings noch auf ihren separaten Steuergeräten. Teile des Konzepts einschließlich einer Software-Updatefähigkeit wurden schon in die neue Elektrofahrzeugplattform „ID.“ integriert. Das Komplettsystem aus VW.OS, der konzerneigenen Datencloud und der E3-Elektronikarchitektur soll für das nächste, bei Audi entwickelte Elektroauto und ab 2025 für alle neuen Konzernmodelle bereitstehen.

Ein Beispiel aufseiten der Automobilzulieferer ist Bosch. Das Unternehmen hat eigens einen neuen Geschäftsbereich gegründet, in dem ab diesem Jahr rund 17.000 Mitarbeiter Elektroniksysteme und Software für alle Fahrzeugbereiche zentral entwickeln. „Software aus einer Hand zu liefern, ist unsere Antwort auf die immense Herausforderung, Autos immer stärker zu digitalisieren“, so Harald Kröger. Parallel kümmert sich der neue Bereich um die Entwicklung der Hochleistungsrechner. Beispielsweise soll ein zentraler Cockpit-Controller in der nächsten Fahrzeuggeneration die Aufgaben von bis zu zehn konventionellen Steuergeräten übernehmen. „Fahrzeugcomputer sind der Schlüssel, um die Komplexität von Elektroniksystemen zu reduzieren und so sicher wie möglich zu machen“, sagt Kröger. Werden künftig mehr zentrale Hochleistungsrechner verbaut, spart das obendrein Kabellänge – und damit Kosten, Gewicht und Bauraum, verspricht Bosch. In aktuellen Mittelklassefahrzeugen ist das Kabelnetz immerhin rund acht Kilometer lang und wiegt zusammen mit den Steuergeräten zwischen 50 und 100 Kilogramm.

Richard Backhaus

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