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Fahrzeugdaten 27. Oktober 2023

Allianz adressiert Schlüsselfragen

Moderne Autos sind zusammen mit dem Smartphone die größten Datensammler. Neue Bestimmungen sollen jetzt die Rechte regeln und zugleich den Datenschatz erschließen. Das kann Betrug beim Gebrauchtwagenkauf verhindern und sogar Leben retten, wie die Allianz analysiert. Aber nicht immer ist der Autofahrer Herr seiner Daten. 

Bei Fahranfängertarifen hat die Allianz bereits ein Telematikprodukt am Start. Gemessen wird das Fahrverhalten dabei über das Smartphone.
Bei Fahranfängertarifen hat die Allianz bereits ein Telematikprodukt am Start. Gemessen wird das Fahrverhalten dabei über das Smartphone.

Heute ist solche Einschätzung weit schwerer, vor allem bei Elektroautos, so Sommerfeld: „Unter der Haube gibt es ja oft gar nichts mehr zu sehen. Und die wertvollste Information ist ganz unzugänglich.“ Das sei nämlich nicht mehr die Kilometeranzeige, sondern der Zustand der Batterie. Und über deren Fitness nach einigen Jahren weiß bisher meist allein der Hersteller Bescheid – und behält das bisher meist für sich. Womöglich aus gutem Grund: Denn gerade sportlich gefahrene Topmodelle der Luxusmarken, die zudem noch oft schnellgeladen werden, dürften nach einigen Jahren überdurchschnittlich nachlassende Akkus an Bord haben. Ein erhöhter Kapazitätsverlust von bis zu 20 Prozent sei die Folge.

Teuer, aber intransparent

Schlecht fürs Image und erst recht für den Wiederverkaufswert. Der Wertverlust des Fahrzeugs könne „je nach Hersteller und Modell bis zu 25 Prozent betragen, in Einzelfällen auch darüber.“ Denn der Ersatz der Batterie eines Elektrofahrzeugs kostet laut Allianz zwischen 13.000 und rund 46.000 Euro – bei weitem die teuerste Komponente des elektrischen Antriebs. „Negative Einflüsse auf den Akku können schnell zu einem gesteigerten Kapazitätsverlust von bis zu 20 Prozent führen“, so Sommerfeld. Auch lange Standzeiten, hohe Umgebungstemperaturen, ein zu niedriger Ladezustand sowie das Nichteinhalten der Ladeempfehlung zwischen zehn und 80 Prozent oder eine Integration ins Stromnetz (Car2Grid) können Gift für den Akku sein. Genaueres weiß auch hier nur der Autobauer, etwa aus den Sensoren, die Daten zur Zellchemie messen.

Sommerfeld hofft darum auf den neuen „EU Data Act“. Die gesetzliche Regelung der Europäischen Union soll ab 2025 prinzipiell den Zugang zu allen Daten im Auto für Dritte öffnen. Dann könnte per Ferndiagnose etwa ein Versicherer seinen Kunden warnen, wenn die Batteriedaten lebensgefährliche Brandgefahr aufzeigen. Und bei einem Unfall ließe sich sehr schnell erfassen, ob und wie schwer auch der Akku beschädigt ist. Reparaturfähig oder Schrott? Der Kunde und ein möglicher Gebrauchtwagenkäufer wüssten schnell Bescheid.

Datenbasierte Geschäftsmodelle

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Die neue Datenfreiheit soll aber noch ganz andere Möglichkeiten eröffnen: „Wir könnten individuell maßgeschneiderte Tarife anbieten, bei denen umsichtige Autofahrer niedrigere Tarife zahlen müssen“, so Sommerfeld. Denn der Bordcomputer eines modernen Autos erfasst ja längst auch, wie schnell ein Mensch in enge Kurven fährt, ob er die Geschwindigkeitsbeschränkungen einhält, wann und wie sanft er vor der Ampel bremst oder ob er brav die Spur hält. Bei Fahranfängertarifen hat die Allianz bereits ein solches Telematikprodukt am Start. Gemessen wird das Fahrverhalten dabei über das Smartphone. Lammfromme Jungfahrer müssen nun nicht mehr darunter leiden, dass sie statistisch in eine Risiko-Gruppe mit „testosterongeladenen jungen Rasern gepackt werden”, so Sommerfeld. Das brave Fahrverhalten kann so bis zu 30 Prozent der Versicherungskosten sparen. Wenn die vollen Daten direkt aus den Fahrzeugen zur Verfügung stünden, wäre noch mehr drin.

Im Prinzip sind die Autobesitzer auch oft nicht mehr so skeptisch wie früher gegen das Datensaugen durch Dritte, wie eine repräsentative europaweite Umfrage des Versicherers belegt. Jeder zweite Befragte ist etwa bereit, für Versicherungsservices seine Daten zur Verfügung zu stellen. Schnellere Unfallbearbeitung dadurch befürworten etwa in Großbritannien 71 Prozent, in Frankreich 63 oder Deutschland 58 von 100 Befragten. Und dass der Versicherer Daten für bessere Services wie automatische Unfallerkennung, Pannenhilfe oder Telematik-Tarife bekommt, findet eine Mehrheit auch gut. Der Klärung des Fahrzeugzustands bei An- und Verkauf stimmten 58 bis 69 und der Verbesserung der Verkehrssicherheit 48 bis 58 Prozent der Befragten zu. 

Jeder zweite Autofahrer befürchtet aber Datenmissbrauch, groß ist die Furcht vor Hacking-Angriffen, Datendiebstahl und Datenmissbrauch durch Unbefugte. Viele der Befragten bezweifeln zudem, dass die Daten im Fahrzeug nur anlassbezogen genutzt werden. Mehr als 70 Prozent wollen darum etwa informiert werden, wenn Telefondaten gespeichert werden - und drei Viertel verlangen einfache und klare Löschprozeduren. Nur dann sollen die Firmen ran an ihre Daten dürfen. Manchmal hat der Mensch hinter dem Steuer aber gar nicht die Hoheit über seine Fahrdaten. Denn der „EU Data Act“ gewährt die ausdrücklich dem „Nutzer“ des Gerätes - und das ist eben der, der das Fahrzeug rechtmäßig besitzt. Das ist aber oft eine Leasinggesellschaft. Die hat sicher ganz eigene Interessen daran, zu erfahren, was der Kunde alles mit dem geliehenen Auto treibt. Da kann die Datenhoheit bei der Rückgabe ein teures Gut werden.

Problemfall „virtueller Schlüsseln“

Auch die Allianz sieht übrigens die neue Welt des digital vernetzten Autofahrens nicht ausschließlich rosig. Kopfzerbrechen macht dem Versicherer derzeit etwa der Trend zum virtuellen Autoschlüssel, der per Auto-App Zugang zum Fahrzeug bringt.  „Wir erwarten, dass zukünftig alle Fahrzeuge mit virtuellen Schlüsseln verkauft werden“, sagte Lucie Bakker, Vorständin Schaden bei der Allianz. Das sei zwar komfortabel, berge aber auch Risiken. Wird beispielsweise das Fahrzeug einer Werkstatt zur Reparatur oder Inspektion übergeben, muss dem Werkstattpersonal zur Nutzung des Fahrzeugs ein zusätzlicher Schlüssel in der App generiert und digital zur Verfügung gestellt werden. Was passiert aber mit diesem Schlüssel nach Abschluss der Reparatur? Bei einigen Herstellern ist dieser Schlüssel zeitlich beschränkt gültig, bei anderen muss er aktiv gelöscht werden. Und bei manchen kennt selbst Europas größter Versicherer die Regeln nicht.

Schwierig wird´s auch, wenn der Besitzer gar nicht mehr weiß, wie viele Schlüssel es gibt. „Der Halter des Fahrzeugs sollte jederzeit wissen, wie viele Autoschlüssel generiert wurden und wie viele davon noch aktiv sind”, so die Fachleute. Das sei nicht nur wichtig beim Verkauf des Autos, sondern auch im Versicherungsfall, beispielsweise nach einem Diebstahl. Und davon gibt es jährlich immer noch rund 12.000 allein in Deutschland. In der guten alten Autoschlüsselwelt reicht der Kunde für die Regulierung den vollständigen Schlüsselsatz bei der Versicherung ein - meist zwei ganz normale. Beim Virtuellen Fahrzeugschlüssel müsste er dazu eigentlich sein Smartphone aushändigen und angeben, ob es beim Klau weitere virtuelle Fahrberechtigungen gab. Das ist eine ganz neue Hürde, die den Schadenersatz mächtig komplizieren könne, so Bakker.

Die Experten fordern darum, dass der Schlüssel-Code zum Beispiel nicht kopierbar sein dürfe, bei Weitergabe müsse ein neuer individueller Schlüssel generiert werden - und der Kunde sollte bei einem Totaldiebstahl sofort alle Virtuellen Schlüssel nachweisbar zurückziehen können. Da gibt es wohl auch nach dem Start des Data Act noch einige Schlüsselfragen zur Datensicherheit. (Peter Weißenberg/SP-X)

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Kopfzerbrechen macht dem Versicherer derzeit etwa der Trend zum virtuellen Autoschlüssel, der per Auto-App Zugang zum Fahrzeug bringt
Kopfzerbrechen macht dem Versicherer derzeit etwa der Trend zum virtuellen Autoschlüssel, der per Auto-App Zugang zum Fahrzeug bringt

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