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Elektronik + Digitalisierung 12. November 2018

GTA im GTI?

Autonomes Fahren ist der technologische Hype der Gegenwart – aber solange Autos nicht vollständig autonom fahren können, dürfen die Hersteller die Rechnung nicht ohne den Fahrer machen. Die Verkehrspsychologen des TÜV haben festgestellt, dass Nichtstun am Steuer schnell müde macht.

Daddeln beim autonomen Fahren ist besser als Schlafen - aber nicht zu sehr ablenken lassen...
Daddeln beim autonomen Fahren ist besser als Schlafen - aber nicht zu sehr ablenken lassen...

Beim Autofahren im Stau einfach ein Nickerchen halten: So sieht er aus, der Traum vom autonomen Fahren. Denn: Hat der Mensch nichts mehr zu tun, wird er besonders schnell müde. Das demonstrierten jüngst die Verkehrspsychologen Tobias Vogelpohl und Mark Vollrath von der TU Braunschweig gemeinsam mit Unfallforschenden vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Sie beobachteten Versuchspersonen im automatisierten Fahrsimulator. Die Hälfte zeigte schon nach 20 Minuten gehäuftes Gähnen und andere Ermüdungserscheinungen; manchen fielen sogar zeitweise die Augen zu. Steuerten sie hingegen den Fahrsimulator selbst, war es erst nach 40 Minuten soweit, und das auch nur dann, wenn die Versuchspersonen in der Nacht höchstens fünf Stunden geschlafen hatten! Die ausgeschlafenen Probanden zeigten selbst nach einer Stunde Fahrt keine Anzeichen von Müdigkeit – sofern sie selbst fahren durften.

„Wir sind ausgesprochen schlecht darin, unter monotonen Bedingungen bei der Sache zu bleiben“, sagt der Psychologe Christian Müller von TÜV Nord. „Wir beschäftigen uns dann lieber anderweitig oder nicken womöglich sogar ein“. Das ist jedoch selbst beim hoch- oder vollautomatisierten Fahren nicht erlaubt. Laut Straßenverkehrsgesetz darf sich der Fahrzeugführer dabei zwar abwenden, muss aber ‚derart wahrnehmungsbereit bleiben, dass er seiner Pflicht jederzeit nachkommen kann‘. Wie schnell er das Steuer wieder übernehmen muss, soll noch festgelegt werden.

Wie also hält man die Fahrenden am Steuer wach, wenn sie dort immer weniger zu tun haben? „Die automatisierten Systeme müssen, wie gesetzlich vorgeschrieben, den Grad der Wachheit überprüfen. Und gegebenenfalls sollten sie für ein kontrolliertes Maß an Unterhaltung sorgen“, empfiehlt Müller. Tatsächlich lässt sich Müdigkeit gut am Blickverhalten ablesen und damit das Risiko einer verlangsamten Reaktion einschätzen. Das richtige Maß an Unterhaltung ist allerdings ein schmaler Grat und noch dazu individuell verschieden: Mancher langweilt sich schnell, ein anderer ist von zusätzlicher Unterhaltung schnell überfordert. Das Unterhaltungsprogramm darf aber auch nicht so gut sein, dass die Insassen gedanklich völlig abtauchen.

Denn wenn wir von anderen Dingen abgelenkt sind, brauchen wir bei schwieriger Verkehrslage mehr Zeit, um uns wieder zu orientieren. Einen Teil ihrer Versuchspersonen ließen die Forscher im automatisierten Fahrmodus auf einem Tablet lesen oder spielen. Auf ein Signal hin übernahmen zwar 90 Prozent nach sieben bis acht Sekunden wieder das Steuer. Doch das bedeutete nicht, dass sie die Verkehrslage schon überblickten. So schauten sie bis zu fünf Sekunden später erstmals in den Seitenspiegel und auf die Geschwindigkeitsanzeige als bei manueller Steuerung.

Zunehmende Erfahrung mit automatisierten Fahrfunktionen macht es nicht besser; im Gegenteil steigt dann die Tendenz, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. In der Verkehrspsychologie kennt man das Phänomen schon lange unter dem Begriff ‚Risikokompensation‘, erläutert der Psychologe Christian Müller von TÜV Nord: Je sicherer wir uns fühlen, desto mehr Risiken gehen wir (unbewusst) ein.

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„Automatisierte Fahrfunktionen können Unfällen vorbeugen und die Straßen sicherer machen“, erinnert Müller von TÜV Nord: beispielsweise, indem sie den nötigen Abstand halten und beim Spurwechsel den toten Winkel auf dem Schirm haben. Die Technik müsse dabei aber auch den Menschen am Steuer im Blick behalten und ihm seine neuen Aufgaben erleichtern. Experten raten zur ‚Gamification‘, erklärt Müller: die Aufgaben in ein kontrolliertes Spiel einzubetten und so Müdigkeit und Langeweile zu vertreiben oder sogar Fahrfertigkeiten zu trainieren. „Die menschliche Natur birgt nicht nur Probleme, sondern auch deren Lösung: unsere Lust am Spielen!“

Spielen wir also demnächst ‚GTA‘, ein beliebtes Autofahr-Actionspiel, statt im virtuellen 3D an der Spielkonsole im realen 3D der Frontscheibe? Oder sammeln Pokémon mit virtuellem Traktorstrahl vom Wegesrand ein? Anders gefragt: Wenn man die ‚autonome‘ Zeit im Auto nicht sinnvoll nutzen kann, braucht man dann – von sicherheitsrelevanten Fahrassistenzsystemen mal abgesehen – autonomes Fahren?

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