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Foto: amz/Jagels
HJS-Geschftsfhrer Philipp Schulte

Markt

Ohne Hersteller geht es nicht

Technisch ist es gut möglich, ältere Fahrzeuge mit wirksamer SCR-Technologie nachzurüsten. Komplexe Herausforderungen gibt es trotzdem, wie HJS-Geschäftsführer Philipp Schulte im amz-Interview erklärt. Einen Lösungsansatz hat er aber auch parat.

Herr Schulte, der ADAC hat in seinem Test bewiesen, dass die Nachrüstung von Dieselfahrzeugen mit SCR-Katalysatoren gut funktioniert. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse?
Philipp Schulte: In der Tat, die Testergebnisse zeigen eindeutig, dass die Nachrüstung wirksam ist. Die Reduktionsquoten betragen bei den Stickoxiden (NOx) durchschnittlich 50 bis 70, in der Spitze sogar bis zu 80 Prozent. Das ist das eindeutige Ergebnis nach einem Testzeitraum von fünf Monaten und 50.000 zurückgelegten Kilometern. Selbst bei einem Kaltstart, der hinsichtlich der ausgestoßenen Stickoxide die schwierigste Phase ist, haben wir bei unserem Test an einem Fiat Ducato eine Reduktion von 51 Prozent erreicht. Bei Mischfahrt mit Überlandverkehr konnten wir die Werte um 78 Prozent verbessern. Dazu muss man betonen, dass die Umsetzung aus dem Entwicklungsstadium heraus realisiert wurde und nur wenige Wochen zur Verfügung standen. Die Ergebnisse lassen sich also durchaus noch verbessern.

Das heißt, die großflächige Nachrüstung könnte jetzt starten?
Schulte: Leider ist das nicht so einfach. Wir haben von Anfang an gesagt, dass eine flächendeckende Nachrüstung von Pkw ohne die verantwortliche Unterstützung der Fahrzeughersteller für uns nicht möglich ist. Es gibt eine enorme Vielfalt an Fahrzeugen im Markt – wir müssten für jeden Fahrzeugtyp, jeden Motortyp und jede Leistungsvariante die Systeme individuell applizieren, da zahlreiche Parameter Einfluss auf das Emissionsverhalten der Fahrzeuge haben. Man kann zwar prinzipiell Plattformen bilden, aber angesichts der Komplexität ist das für mittelständische Unternehmen nicht eigenständig zu stemmen. Um die breite Masse der Halter zu erreichen, müsste darüber hinaus die Mithilfe der Hersteller flächendeckend sein. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht der Fall.

Wo liegen die technischen Heraus forderungen?
Schulte: Grundsätzlich muss der notwendige Bauraum vorhanden sein beziehungsweise müssen die zu verbauenden Komponenten sehr individuell angepasst werden. Ohne die Mitwirkung der OEM müssten wir dazu gewisse Komponenten selbst entwickeln und industrialisieren. Das dauert. Nehmen wir zum Beispiel den Adblue-Tank. Für fast jedes Fahrzeug müssten wir einen passenden Tank realisieren. Deshalb haben wir für den Fiat Ducato, den wir beim ADAC-Test eingesetzt haben, einen Originaltank des Herstellers verwendet, wie er im Euro-6-Fahrzeug verbaut ist. Das ist aber längst nicht bei allen Fahrzeugen möglich. Zudem müssten wir auch bei den SCR-Katalysatoren eine große Vielfalt entwickeln. Im Partikelfilterbereich haben wir 211 Artikelnummern – bei der SCR-Nachrüstung wären es vermutlich deutlich mehr. Auch wenn wir grundsätzlich über die technische Kompetenz verfügen, beschäftigen wir uns daher aktuell nicht mit der Pkw-Nachrüstung.

Der technische Aufwand für die Nachrüstung ist hoch. Halten Sie ihn noch für vertretbar?
Schulte: Umweltschutz gibt es nicht umsonst. Aber es stimmt schon, wir betreiben heute sehr hohen Aufwand, um das Abgas zu reinigen. Früher entfielen 95 Prozent der Gesamtkosten von Motor und Abgasanlage auf den Motor. Der Schalldämpfer, der ja praktisch nur ein verzinktes Blech war, hatte nur einen Anteil von fünf Prozent. Dieses Verhältnis hat sich über die Jahre stark verändert. Schließlich sitzen heute vor allem beim Diesel, aber auch beim Benziner praktisch kleine Chemieanlagen unter dem Auto. 70 Prozent der Kosten entfallen noch auf den Motor, aber mittlerweile 30 Prozent auf die Abgasanlage. Im Extremfall kann das Verhältnis sogar bei 50 zu 50 liegen. Wir reden aber von vorhandener Technologie, die man heute im Griff hat. Vertretbar ist diese für Fahrzeuge mit entsprechendem Restwert.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der Einführung einer blauen Umweltplakette für Pkw?
Schulte: Ich weiß, die Meinung hierzu ist durchaus kontrovers. Aber irgendwie müssen wir die Fahrzeuge ja unterscheiden. Und die Umwelt­plakette scheint für mich die einzig prag­matische Lösung, die im Grunde schon vorhanden ist. Die Bundesregierung sollte hier eine einheit­liche Lösung für ganz Deutschland auf den Weg
bringen.

Wie ließe sich das Problem in den Innenstädten aus Ihrer Sicht lösen?
Schulte: Die Pkw machen in den Umweltzonen zwar die Masse der Fahrzeuge aus, aber nicht die Masse der Schadstoffe. Transportfahrzeuge fahren in den Lieferzonen der Innenstädte deutlich mehr Kilometer. Den mit Abstand größten NOx-Ausstoß haben aber die Busse. Einen Bus nachzurüsten hat den gleichen Effekt, als würde man 150 Pkw nachrüsten. Es ist also deutlich sinnvoller, bei Transportern und Bussen anzusetzen. Genau das haben wir auch bei der Bundesregierung vertreten und setzen wir jetzt um.

Wenig beachtet wurde in diesem Zusammenhang die Einführung einer Förderrichtlinie für die Kat-Nachrüstung für den ÖPNV …
Schulte: Das stimmt leider. Dabei ist die Förderquote mittlerweile sehr attraktiv. Zu Beginn lag sie bei 40 bis 60 Prozent der Kosten inklusive Einbau. Seit Jahresende 2018 ist sie auf 80 Prozent angehoben worden. Der Bund hat für diesen Zweck 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Reaktion der Kommunen war bis zum Jahresende allerdings noch sehr verhalten. Mit der Anhebung scheint sich das Verhalten zu verändern. Wir nehmen hier eine Zunahme der Anfragen wahr.

Stattdessen wird auch bei Bussen viel von der Elektromobilität geredet …
Schulte: Aufgrund der Verfügbarkeit und der zu schaffenden Infrastruktur geht die Ausstattung mit Elektrobussen nach unserem Wissen bestenfalls schleppend voran und hilft damit bei der akuten Verbesserung der Luftqualität vermutlich nur sehr bedingt. Natürlich wird die E-Mobilität bei Bussen über kurz oder lang kommen, aber es ist eine sinnvolle Brückenlösung, die vorhandenen Busse mit einer wirkungsvollen und geförderten Technologie nachzurüsten. Schließlich lässt sich der Ausstoß von Stickoxiden bei Bussen, die im städtischen ÖPNV eingesetzt werden, durch ein effektives Thermomanagement um zum Teil sogar über 90 Prozent reduzieren. Übrigens sehr wirtschaftlich. Für die Anschaffung eines Elektrobusses lassen sich mehrere Dutzend vorhandene Busse nachweislich sauber machen.

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