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„Vorbild sind Smartphone & Co.“

Vernetzte Fahrzeuge bringen Herausforderungen, aber auch Chancen für Continental. Software-Strategiechef Martin Schleicher sieht neue Wertschöpfung, Geschäftsmodelle und neue Formen des Zusammenspiels zwischen Zulieferer, Autobauer und Endkunden.

Martin Schleicher verantwortet die Software-Strategie bei Continental. Er sieht den Technologiekonzern als Integrator.
Martin Schleicher verantwortet die Software-Strategie bei Continental. Er sieht den Technologiekonzern als Integrator.

amz: Welche Herausforderungen bewirken digitalisierte und vernetzte Fahrzeuge für die Automobilindustrie?

Martin Schleicher: Digitalisierung und Vernetzung bewirken eine der umfassendsten Transformationen, die das Auto seit seiner Erfindung erlebt hat. Das wird uns auch in den kommenden Jahren begleiten. Ganz konkret bedeutet das, dass sich die elektrische und elektronische Architektur im Auto in einem radikalen Umbruch befindet. Für jede Funktion im Fahrzeug ist heute oftmals ein spezielles Steuergerät an Bord – für das Zugangssystem, die Mobilfunkanbindung oder die immer größer werdenden Displays im Cockpit. Dazu kommen immer mehr und leistungsfähigere Sensoren, etwa für Fahrerassistenzfunktionen. Moderne Autos produzieren daher riesige Datenmengen, die mit der herkömmlichen Elektronik nicht mehr verarbeitet werden können.

amz: Inwiefern können vernetzte Fahrzeuge den Aftersales-Prozess weiter digitalisieren und damit verändern?

Martin Schleicher: Das intelligente Auto der Zukunft wird durch Software definiert und braucht eine neue Architektur. Continental setzt deshalb auf intelligente Hochleistungsrechner, unsere sogenannten High-Performance-Computer. Diese managen die Funktionsvielfalt und Datenströme im Auto und darüber hinaus. Wie in einem elektronischen Gehirn laufen hier alle Fäden zusammen. Zudem ermöglichen sie Over-the-Air (OTA)-Software und -Firmware oder Cybersicherheit-Updates über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs hinweg, um es kontinuierlich auf dem neusten Stand der Technik zu halten und um neue Funktionen zu ermöglichen, nachdem es bereits vom Band gelaufen ist. Dies eröffnet einen Markt für neue Funktionen und Geschäftsmodelle von Fahrzeugherstellern, Zulieferern und Drittanbietern.

amz: Inwiefern vereinfacht die „Zonenarchitektur“ die Over-the-Air-Softwareaktualisierungen?

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Martin Schleicher: Eine zentralisierte Fahrzeugarchitektur konzentriert die nötige Rechenleistung mit entsprechenden Funktionen in wenigen, aber leistungsfähigen Zentralrechnern, während Zonensteuergeräte die Datenstrecken im Fahrzeug optimieren und die zuverlässige Kommunikation und Ausführung von Fahrzeugfunktionen sicherstellen. Die Software wird dabei von der spezifischen Hardware befreit und schafft die Voraussetzung für kontinuierliche Updates und Verbesserungen für das Fahrzeug. Mit den neuen Architekturen werden Fahrzeuge zu einem integralen Bestandteil des Internets der Dinge. Sie entwickeln sich über ihre Lebensdauer weiter bzw. passen sich an und integrieren sich nahtlos in das digitale Leben ihrer Besitzer und Nutzer.

amz: Welches Potenzial sieht Continental beim Datenaustausch von und mit vernetzten Fahrzeugen?

Martin Schleicher: Für unser Unternehmen stellt der kontinuierlich wachsende Datenfluss in vernetzten Fahrzeugen neue Herausforderungen, aber auch Chancen dar. Der traditionelle Hardware-Fokus in der Automobilindustrie wird zunehmend durch software- und servicegetriebenes Geschäft ergänzt und teilweise ersetzt. Dadurch entstehen neue Wertschöpfungsströme, die neue Geschäftsmodelle vorantreiben, und neue Formen des Zusammenspiels nicht nur zwischen Zulieferer und Automobilhersteller, sondern auch zwischen Fahrzeugkäufer oder -nutzern und Automobilherstellern. Laufende Diagnosen oder regelmäßige Updates und Upgrades im Auto werden zur Norm.

Goldgräberstimmung: Fahrzeughersteller investieren derzeit in digitale Services. Per App bzw. „Over-the-Air“-Upgrade können Fahrzeughalter kostenpflichtige Extras wie Matrix-Licht, Lenkradheizung oder mehr Akkuleistung und somit Reichweite buchen.
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Das reduziert nicht nur die Kosten und die Notwendigkeit von Serviceterminen, sondern hält Fahrzeuge auch auf dem neuesten Stand, bewahrt sie vor Sicherheitslücken und ermöglicht es Fahrzeugherstellern, Probleme zu beheben. Auch neue Funktionen können so über die Lebensdauer des Fahrzeugs hinzugefügt werden. So entsteht ein neuartiges Nutzererlebnis, das jederzeit weiter optimiert werden kann. Gerade dieser Aspekt gewinnt immer stärker an Bedeutung, da frühere Kaufkriterien für ein Fahrzeug wie die Motorisierung in den Hintergrund treten.

amz: Wie beurteilt Continental die von OEM zur Verfügung gestellten „Funktionen-auf-Abruf“ bzw. die daraus resultierende Monetarisierung während der Nutzungsphase?

Martin Schleicher: Vorbild der Digitalisierung im Fahrzeug sind Smartphone & Co. Das sehen wir klar in der Darstellungs- und Bedienlogik im Cockpit, wo sich Displays in allen Fahrzeugklassen durchsetzen. Hinzu kommt ein rasantes Wachstum an Softwarefunktionen bzw. Applikationen und nun Schritt für Schritt auch die Möglichkeit für drahtlose Updates und „Funktionen auf Abruf“. Es geht darum, den Wunsch nach digitalen Funktionen zu erfüllen, sie aber individualisiert anbieten zu können. Zu viele Funktionen können überwältigend sein, daher erfüllen Funktionen auf Abruf die Vielzahl an unterschiedlichen Nutzeranforderungen und schaffen ein ganzheitlich positives Nutzererlebnis. Neue Fahrzeugarchitekturen basierend auf Hochleistungsrechnern ermöglichen dabei Softwareumgebungen, auf denen Funktionen hardwareunabhängig integriert werden können. Auf dieser Basis können Hersteller dann „Function on demand“, nachladbare Funktionen oder nutzungsbasierte Geschäftsmodelle in den Markt bringen.

amz: Welche Rolle nehmen Autozulieferer im digitalen Geschäftsprozess ein?

Martin Schleicher: In diesem digitalen Geschäftsprozess nehmen in erster Linie Zulieferer und Hersteller die führende Rolle ein. Wir als Continental sehen uns weiter als Lieferant von Elektronikkomponenten und Software, zukünftig jedoch verstärkt als Integrator, der das Zusammenspiel der Software im Fahrzeug mit unseren Plattformen für High-Performance-Computer bedient und damit den Anforderungen des heutigen Marktes gerecht wird. Unser Kerngeschäft ist dabei schon lange eine Kombination von Elektronik, Software und Sensorik und das wird auch in zukünftig so bleiben. In unserem Produktportfolio gibt es schon heute so gut wie keine Lösung ohne Software-Anteil mehr.

amz: Können Zulieferer partizipieren? Wie weit ist beispielsweise Continental bei diesem „Software-as-a-Service“-Geschäft?

Martin Schleicher: Bei Continental definieren wir gemeinsam neue Wertströme und Chancen in Bezug auf Softwarewartung und Add-on-Funktionen, um den zukünftigen Erfolg der Automobilindustrie voranzutreiben. Wir definieren gemeinsam neue Wertströme und Chancen in Bezug auf Softwarewartung und Add-on-Funktionen, um den zukünftigen Erfolg der Automobilindustrie voranzutreiben. Wir stellen einen signifikanten Teil der Infrastruktur für „Software-as-a-Service“ bereit. Dabei bieten wir mit unserem Know-how und unserem langjährigen Engagement in der Automobilindustrie ein komplettes Over-the-Air-Ökosystem über den gesamten Fahrzeuglebenszyklus. Wir halten Software auf dem neuesten Stand, entwickeln neue Funktionen und ermöglichen den effizienten Einsatz von Update-Kampagnen. Unsere Systeme sind dafür geschaffen, perfekt aufeinander abgestimmt in den unterschiedlichsten Anwendungen Einsatz zu finden.

amz: Wie ist Ihr Unternehmen im Bereich „Connected Car“ aufgestellt?

Martin Schleicher: Seit 1996 bedienen wir alle modernen und gängigen Wireless-Schnittstellen und konnten so bisher mehr als 50 Millionen Fahrzeuge mit Continental-Technik vernetzen. Dafür bieten wir bis heute ein komplettes Portfolio an Vernetzungslösungen von eigenständigen Netzwerkzugangsgeräten oder Antennen für zuverlässige, schnelle und latenzarme Konnektivität, basierend auf 5G- und V2X-Technologien, bis hin zu vollständig integrierten Telematik-Steuereinheiten und intelligenten Antennenmodulen sowie eine Vielzahl an Services rund um das Fahrzeug an. Dazu gehören beispielsweise auch sichere OTA-Updates und Fahrzeugferndiagnose, digitale schlüsselbasierte Dienste sowie Software-Integration von OEMs und Drittanbietern. Gestärkt werden wir von unserem Automotive Softwarespezialist Elektrobit, mit dem wir bereits seit 2014 zusammenarbeiten, sowie unseren mehr als 17.000 Software- und IT-Experten im Continental-Software-Powerhouse.

amz: In welchen Baureihen finden sich moderne Conti-Zentralrechner? Könnten Sie uns ein, zwei Beispiele nennen?

Martin Schleicher: Mit der Entwicklung des In-Car Application Server 1 (ICAS1) für die VW ID-Baureihe bietet Continental beispielsweise als weltweit erster Anbieter einen Body-High-Performance-Computer als Hochleistungsserver für Fahrzeuge mit der dazugehörigen Software in Serie an. Der ICAS1 ist das größte Systemintegrationsprojekt der letzten 25 Jahre und zeigt die Kompetenz von Continental bei der Beherrschung von Fahrzeugarchitekturen, der Full-Stack-Integration und dem hochkomplexen Projektmanagement. Erst kürzlich haben wir zudem im BMW iX den nächsten Hochleistungsrechner als zentrale Steuereinheit für alle Cockpit-Funktionen in Serie gebracht.

amz: Herr Schleicher, vielen Dank für die Antworten!

Continental ist auch angetreten, um OEM zu unterstützen, beim softwaredefinierten und vernetzten Fahrzeug die Komplexität zu reduzieren und auf der anderen Seite, das Geschäftspotenzial zu erhöhen – das betrifft auch den Themenbereich OTA.
Continental ist auch angetreten, um OEM zu unterstützen, beim softwaredefinierten und vernetzten Fahrzeug die Komplexität zu reduzieren und auf der anderen Seite, das Geschäftspotenzial zu erhöhen – das betrifft auch den Themenbereich OTA.

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