Die Zeit des „Lastwagen-Tetris“ ist vorbei für den Ferronordic-Standort Hannover: Der Volvo- und Renault Trucks-Partnerbetrieb musste aufgrund eines auslaufenden Mietvertrags den ehemaligen Standort im niedersächsischen Isernhagen verlassen, machte jedoch aus der Not eine Tugend. Die Nfz-Profis zogen Ende 2022 in den eben erst fertiggestellten Neubau im rund 30 Kilometer entfernten Wunstorf. Die Grundfläche des neuen Standorts verdoppelte sich auf 15.000 Quadratmeter. Das entzerrt die Parkplatzproblematik immens, wie Regionalleiter Maik Hörnicke beim amz-Betriebsbesuch feststellt. Auch sonst haben sich die Mühen gelohnt: Nahe des Steinhuder Meers entstand der modernste Standort im Ferronordic-Verbund, ein Leuchtturm-Projekt, wie der gelernte Kfz-Mechaniker und Kfz-Meister beschreibt. Auch wenn die Wärmepumpen zum Heizen bzw. Kühlen auf sich warten ließen und die versprochene Breitbandverbindung immer noch aussteht.
Die Mannschaft ist fast komplett mit umgezogen, erläutert Hörnicke. Lediglich drei Mechaniker wechselten zum kürzlich von Ferronordic übernommenen Standort Peine. Des einen Leid ist manchmal des anderen Freud: In Peine brachte der Wechsel nämlich einen Synergieeffekt mit sich. Die ehemalige Daimler- und dann freie Werkstatt Heinrich Arnke hatte zum Zeitpunkt der Übernahme keine besonderen Volvo- bzw. Renault Trucks-Kenntnisse. Die Fachkräfte blieben dem Unternehmensverbund also treu und sorgten für einen Wissenstransfer.
22 deutsche Service-Stützpunkte
Die schwedische Ferronordic-Gruppe gründete sich 2010 aus Mitarbeitern von Volvo Construction Equipment und startete den Vertrieb und Service von Baumaschinen in Russland. Später kam das Lkw-Geschäft hinzu. Ende 2022 erfolgte der Ausstieg aus dem Russland-Geschäft. Eine gute Entscheidung also, dass die Schweden bereits 2019 regional „diversifizierten“ und den Vertrieb und Service von Volvo Trucks erst in Kasachstan und ein Jahr später in Deutschland starteten. Volvo agiert in Deutschland als Importeur von Volvo- und Renault Trucks-Fahrzeugen sowie deren Ersatzteilen. Der Importeur hat über ganz Deutschland Händler eingesetzt. Einen Teil des deutschen Marktes bedient Volvo als Händler mit eigenen Niederlassungen, während der größere Teil von inhabergeführten Händlern betrieben wird. „Als Händler verantwortet Ferronordic derzeit rund 20 Prozent des deutschen Truck-Marktes“, hieß es im Februar 2023 aus der Ferronordic Holding GmbH zur eigenen Rolle im Markenservice.
Die Holding fungiert als Dachgesellschaft der Vertriebs- und Servicegesellschaft Ferronordic GmbH, dem Vermietgeschäft der Ferronordic Rental GmbH (Standort Dessau) sowie dem Gebrauchtfahrzeug-Zweig Ferronordic Used Truck GmbH mit Sitz in Coswig. Das Vertriebsgebiet erstreckt sich in Mitteldeutschland (Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Teile von Rheinland-Pfalz sowie Niedersachsen) und umfasst die Ferronordic-Regionen Nord, Süd (mit Standorten beispielsweise in Frankfurt und Aschaffenburg), Ost (u.a. Dresden, Leipzig) sowie West (z.B. Bingen, Limburg). Ende 2022 waren rund 300 Mitarbeiter im Bereich Werkstatt bzw. der Technik beschäftigt. Gestartet war man mit zehn Standorten, die einerseits von Volvo übernommen wurden. Teilweise kaufte die Unternehmensgruppe auch freie Nfz-Betriebe wie in Peine. Stand heute liegt das Unternehmen bei 22 Niederlassungen. Die beiden neuesten Standorte in Peine und Wunstorf betreut Maik Hörnicke als Regionalleiter Nord neben weiteren Betrieben in Magdeburg, Nordhausen und Northeim.
Die Leuchtturm-Werkstatt verfügt über drei Bahnen mit je drei Arbeitsplätzen. Hinzu kommen Prüfbahn, Waschbereich sowie eine halbe Bahn in separaten Hallen. Letztere ist zum LNG- und Hochvolt-Arbeitsplatz ausgebaut. Mit entsprechendem Werkzeug und Kompetenz ausgestattet, bildet Hannover-Wunstorf einen zertifizierten Elektro-Hochvolt-Standort. Beim Blick in die Hallen sieht man nur wenige Arbeitsgruben. In Isernhagen hatte man eine ehemalige Produktionshalle bezogen, eine Grube war weder vorhanden noch nachrüstbar. Also hatte sich das Technik-Team mit Radgreifern beholfen und festgestellt: das funktioniert. Außerdem finden sich Zwei-Säulen-Bühnen, die eine Spurweite von zwei bis sechs Metern abdecken – damit lassen sich sowohl Transporter als auch auch Zugmaschinen heben.
Neben einem eigenen Schweißplatz sind die Niedersachsen stolz, in einem Nebenraum Motor- und Getriebe-Überholungen mit zwei Spezialisten durchzuführen. Zentral sind zwei mit Computer-Arbeitsplätzen ausgestattete Meisterboxen – hier können sich die Fachleute zurückziehen, um ungestört Online-Trainings zu absolvieren. Vernetzt ist der Standort mittlerweile – auch ohne Breitband- oder Glasfaserkabel. Elon Musks „Starlink“ sorgt vorübergehend für Internet aus der Erdumlaufbahn.
Digitalisierung und Elektrifizierung
In Wunstorf verkaufen zehn Mechaniker, zwei Lager-Fachkräfte sowie mindestens sechs Azubis rund 16.000 Stunden pro Jahr. In Vertrieb und Verwaltung sind 28 Mitarbeiter beschäftigt. Nimmt man die anderen Stützpunkte der Region Nord hinzu, ist Maik Hörnicke für 89 Mitarbeiter verantwortlich. Für den Kfz-Profi ist Mitarbeiterführung kein Neuland: Er leitete vor seinem Ferronordic-Start 2020 bereits eine eigene Werkstatt und hatte Führungsverantwortung im Vertriebsnetz von Volvo Pkw sowie bei einem Anbieter von Fahrzeugwäsche.
Das Kfz-Gewerbe muss sich mit neuen Antriebsvarianten, veränderten Vertriebsmodellen und digitaler Arbeitsweise auseinandersetzen – dem trägt Ferronordic Rechnung, wie in Wunstorf deutlich wird. Die Elektro-Offensive von Volvo Trucks flankieren zwei Schnelllader (175 kW) und sechs Wallboxen (bis 22 kW). Die Energieversorgung übernehmen die Solarpanelle auf dem Hallendach. Energetisch sei man weitgehend autark, so Hörnicke. Für Werkzeuge und Schulungen im Bereich Hochvolttechnik investieren die Schweden standortübergreifend je 100.000 Euro, davon rund 70.000 Euro für Werkzeuge und Equipment.
Ein Beispiel für die Digitalisierung findet sich im Teilelager: Der Betrieb wird einmal täglich beliefert, entsprechend hoch ist der Lagerbestand vor Ort. Ein Highlight des zweigeschossigen Logistikbereichs ist ein Teilelift von Modula. Dieser überdimensionale „Lagerpaternoster“ ist weniger Aufzug und mehr ein automatisierter, vertikaler Teileschrank. Auf einer Grundfläche von 12 Quadratmeter finden sich sechzig Schubladen mit einer Tragkraft von jeweils 700 Kilogramm. Über den Bildschirm lassen sich Komponenten über die Teilenummer anfordern. Das Schmuckstück stößt auch bei anderen Logistikprofis im Volvo Trucks-Netz auf Interesse.
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