95 Prozent der von der Nutzfahrzeugindustrie ausgelieferten Lkw und Transporter sind unvollständig für den späteren Transporteinsatz und werden von einem Aufbauhersteller mit Auf- und Umbauten ergänzt. Kunden dieser Um- und Aufbauten sind beispielsweise Speditionen, Handwerker, Rollstuhlfahrer, Bundeswehr oder auch Kommunen wie Feuerwehr, Rettungsdienste und viele mehr. Doch aktuell bringen Lieferschwierigkeiten der Industrie die Aufbauhersteller in finanzielle Bedrängnis. Darauf weist der Zentralverband Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF) in eindringlichen Worten hin.
„Unsere Mitgliedsbetriebe haben gefüllte Auftragsbücher und halten personelle und materielle Kapazitäten vor, können jedoch nicht produzieren, weil sich die Lieferung von Fahrgestellen von ca. drei Monaten auf bis zu 24 Monaten verlängert hat“, warnt der ZKF. Zudem würden die aktuell stark steigenden Kosten für Material und Energie und die voraussichlich erhöhten Lohnkosten auf Grund der vorstehenden Tarifverhandlungen den Mitgliedsunternehmen die Luft zum Atmen nehmen. „Durch die verzögerten und unkalkulierbaren Lieferzeiten für Lkw-Fahrgestellen kann derzeit kein Unternehmer abschätzen, ob ein heute angenommender Auftrag zur Auslieferung kostendeckend produziert werden kann“, heißt es weiter. Im Klartext bedeute dies: „Die Automobilindustrie wird gefördert und macht dabei große Gewinne, während man den Mittelstand am ausgestreckten Arm verhungern lässt.“
Produktion deutlich heruntergefahren
Der ZKF beobachtet seit etwa einem Jahr, dass die Automobilindustrie vorzugsweise Fahrzeuge mit großen Margen produziere. Die restliche Produktion sei weitestgehend heruntergefahren worden – mit entsprechender Nutzung der Kurzarbeit. Als Grund für die reduzierte Produktion nenne die Lkw-Industrie laut ZKF die aktuellen Versorgungsengpässe bei Ersatzteilen wie Kabelbäumen, die bis vor dem Krieg noch in der Ukraine gefertigt wurden. Aus vertrauenswürdigen Quellen sei dem ZKF jedoch bekannt, dass beispielsweise die vorhandenen Kabelbäume vorzugsweise an Produktionswerke im Ausland geliefert werden, weil es nur in Deutschland die Möglichkeit der Kurzarbeit gebe.
Diese „offizielle“ Begründung der unterbrochenen Lieferketten führe laut ZKF jedoch dazu, dass die Mitgliedsbetriebe des Verbands keine Überbrückungshilfe erhalten würden. Diese sei an die Bedingung geknüpft, dass der Umsatzausfall coronabedingt sein muss.
Mehrbelastungen größer als während der Corona-Krise
Parallel zu den nicht vorhandenen Fahrgestellen müssen die Fahrzeugbau-Betriebe aktuell auch noch folgende Mehrbelastungen schultern:
- Teilweise exorbitante Nachzahlungen bei Strom und Gas. Hierbei werde voraussichtlich auchdie zukünftige Preisbremse nicht wirklich viel helfen.
- Nicht planbare Belieferung mit Bauteilen und Rohmaterial führe zu einer ineffizienten unddamit nicht kostendeckenden Produktion.
- Die zwangsläufig erhöhte Lagerhaltung führe zu steigendem Finanzierungsaufwand. Der Aufbauhersteller finanziere die Ware, die erste viele Monate später verbaut werden könne. Möglicherweise sei die Gewährleistungsfrist der Lieferanten abgelaufen, bevor die Teile eingebaut werden könnten.
- Massiv steigende Energie-, Material- und Lohnkosten könnten durch langfristige Vertragsbindungennicht an die Kunden weitergegeben werden.
- Bei öffentlichen Ausschreibungen (z.B. für Feuerwehrfahrzeuge) seien Festpreise und verbindliche Lieferzeiten – oft mit Vertragsstrafe - gefordert, die keine Preis-Gleitklausel zulassen würden. Der Lieferant eines Komplettfahrzeugs erhalte von der Automobilindustrie für das Fahrgestell jedoch keinen verlässlichen Lieferzeitpunkt, inzwischen oftmals auch keinen Preis. Das Risiko trage der Mittelständler, sofern er sich überhaupt noch in der Lage sieht, an einer öffentlichen Ausschreibung teilzunehmen.
- Die in den letzten beiden Jahren verordneten Corona-Schutzmaßnahmen hätten in den Betrieben bereits in erheblichem Maß Umsatzausfälle und Mehrkosten verursacht, die noch lange nicht kompensiert werden konnten.
- Der Fachkräftemangel im Handwerk werde zusätzlich dadurch befeuert, dass andere, nicht von Corona-bzw. Ukrainekrise betroffene Unternehmen – vornehmlich aus der Industrie – nun die 3.000 EUR Inflationsprämie zahlen könnten und Mitarbeiter teilweise dorthin abwandern würden. Dies führe zu einem personellen Ausbluten der Betriebe.
Der ZKF stellt daher folgende Forderungen an die Bundesregierung:
- Die Überbrückungshilfe dürfe nicht länger nur auf coronabedingte Ausfälle beschränkt sein und müsse ebenfalls auf die Lieferketten-Problematiken ausgeweitet werden. Außerdem müsse bei der Prüfung bereits ausgezahlter Hilfen kulant entschieden werden.
- Das Risiko nicht kalkulierbarer Preissteigerungen bei Energie, Material und Löhnen dürfe nicht auf den Mittelstand abgewälzt werden. Bei öffentlichen Ausschreibungen müssten daher auch bei Lieferaufträgen Preisgleitklauseln eingeführt werden. Anbieten würde sich hier laut ZKF der Preisindex „GP 582 29 2 (Karosserien, Aufbauten und Anhänger)“.
- Die Zugangserleichterungen für das Kurzarbeitergeld müssten über den 31. Dezember 2022 hinaus gelten.
Als Berufs- und Wirtschaftsverband sieht der ZKF die große Gefahr, dass durch die derzeitige Situation handwerlich geprägte Unternehmen des herstellenden Karosserie- und Fahrzeugbaus in Deutschland diese Krise nicht überstehen werden. Die Wertschöpfung der derzeit noch in Deutschland produzierten Aufbauten würde als Konsequenz in europäische Nachbarländer verlagert werden.