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Bei Fehlfunktionen an der Kupplung ist häufig ein schadhaftes Ausrücksystem die Ursache. Beim Kupplungstausch sollte der Werkstattfachmann daher immer auch die Peripherie genauestens inspizieren.
Foto: Valeo Service
Bei Fehlfunktionen an der Kupplung ist häufig ein schadhaftes Ausrücksystem die Ursache. Beim Kupplungstausch sollte der Werkstattfachmann daher immer auch die Peripherie genauestens inspizieren.

Nfz-Service

Kupplung: Achillesferse Ausrücksystem

Die Ansprüche an eine Nutzfahrzeug-Kupplung sind hoch. Vor allem schwierige Einsatzbedingungen belasten das System. Häufig ist das Ausrücksystem für Fehler verantwortlich. Mit dem entsprechenden Know-how und vorausschauenden Wartungsarbeiten lassen sich unnötige Standzeiten vermeiden.

Bei Nutzfahrzeugen sind minimale Stand- und maximale Betriebszeiten gefragt. Werkstattaufenthalte werden in der Regel nur dann akzeptiert, wenn sie unbedingt nötig sind. Da die Komponenten des Kupplungssystems zu den klassischen Verschleißteilen eines Lkw oder Bus gehören, ist für deren Austausch ein Werkstattbesuch „vorprogrammiert“. Wann eine Nutzfahrzeug-Kupplung technisch an ihre Verschleißgrenze stößt, ist von vielen Einflussfaktoren abhängig.

Den Kupplungsexperten von Schaeffler Automotive Aftermarket zufolge gilt folgende Faustregel: Bei Lkw im moderaten Fernverkehr hält eine Kupplung bis zu einer Million Kilometer, bei Lkw und Bussen im Regional- und Nahverkehr ist ein Kupplungstausch spätestens nach 600.000 Kilometern fällig – optimale Einsatzbedingungen vorausgesetzt. Anspruchsvolleres Terrain, etwa schwerer Baustelleneinsatz oder vorherrschender innerstädtischer Lieferverkehr, können die Lebensdauer eines Kupplungssystems jedoch drastisch verkürzen.

Da es bei Defekten am Kupplungssystem unter Umständen zu teuren und langwierigen Arbeiten kommen kann, ist es gerade bei einem sowieso fälligen Kupplungsersatz wichtig, nicht nur die augenscheinlichen Komponenten zu erneuern, sondern auch die Peripherie unter die Lupe zu nehmen – und „bekannt verdächtige“ Bauteile vorsorglich ebenfalls zu wechseln.

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Urzustand: So sieht die Anlaufstelle der Anpressplatte, die so genannte „Dachschräge“, im Neuzustand aus.
Foto: ZF Aftermarket
Urzustand: So sieht die Anlaufstelle der Anpressplatte, die so genannte „Dachschräge“, im Neuzustand aus.
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Verschleißzustand: Sind etwa Führungshülse oder Ausrückgabel verbogen oder verschlissen, schleift sich die Dachschräge durch die exzentrische Mitnahme der Membranfeder erheblich ab, was zu einer rutschenden Kupplung führt.
Foto: ZF Aftermarket
Verschleißzustand: Sind etwa Führungshülse oder Ausrückgabel verbogen oder verschlissen, schleift sich die Dachschräge durch die exzentrische Mitnahme der Membranfeder erheblich ab, was zu einer rutschenden Kupplung führt.

Achillesferse Ausrücksystem

Viele Kupplungsfehlfunktionen sind den Spezialisten von ZF Aftermarket zufolge auf ein fehlerbehaftetes Ausrücksystems zurückzuführen. Fehlfunktionen können demnach auch kapitale Schäden wie verbrannte Kupplungsbeläge oder ein schlechtes Trennverhalten verursachen. Also Defekte, die zunächst nicht unbedingt direkt auf Probleme am Ausrücksystem schließen lassen. Dabei ist die Ausrückgabel bei jeder Kupplungsbetätigung im Einsatz. Entsprechend hoch ist der Verschleiß von Gabel, Welle und Lagerung, was langfristig dazu führen kann, dass die Kupplung einseitig betätigt oder der Ausrückweg nicht komplett erreicht wird. Die Folgen sind ein erhöhter Lagerverschleiß oder Schaltschwierigkeiten. „Auch für den fehlerfreien Betrieb eines automatisierten Schaltgetriebes wie dem ‘AS Tronic’ von ZF ist die korrekte Funktion des Ausrücksystems essenziell“, berichten die Fachleute von ZF Aftermarket. Nachfolgend sind einige typische Fehler am Ausrücksystem beschrieben.

Exzentrischer Anlauf des Ausrückers: Durch eine verbogene Ausrückgabel oder eine verschlissene Führungshülse beispielsweise kann das Ausrücklager frühzeitig ausfallen, da es exzentrisch an der Membranfeder anläuft und zu einer ungleichmäßigen Betätigung führt. Die Folge ist ein überproportionaler Abschliff an der Berührungsstelle zwischen Membranfeder und Anpressplatte (Dachschräge). Bedingt durch die verschlissene Dachschräge ändert sich die axiale Position der Membranfeder, so dass deren Betätigungskraft dann nicht mehr ausreicht und der Kupplungsbelag immer mehr durchrutscht – und im Extremfall sogar verbrennt.

Falsche Position des Ausrückers: Obwohl es sich bei der Kupplungsreparatur um eine Routinearbeit handelt, kommt es im Werkstattalltag immer wieder zu Flüchtigkeitsfehlern. Beispielsweise, wenn der Ausrücker unbemerkt in einer falschen Position montiert wird, so dass die Rollengabel in dessen Führungen verkantet. „Dadurch lässt sich die neu eingebaute Kupplung zunächst nur schwer betätigen. Außerdem wird sich der Ausrückweg verkürzen und es treten Trennschwierigkeiten auf. Denn durch das Verkanten wird die Kraft der Membranfeder nicht mehr wirksam und die Kupplung rutscht schon nach kurzer Laufzeit“, warnen die Fachleute von ZF Aftermarket.

Verschlissene Bauteile im Ausrücksystem: Auch falsche Sparsamkeit beim Kupplungswechsel kann später Probleme verursachen und der Auslöser für einen weiteren, aber unnötigen Werkstattaufenthalt ein. Typisch hierfür ist, wenn bereits vorhandener Verschleiß an der Betätigungsmechanik – erkennbar an einer merklich erhöhten Pedalkraft – ignoriert wird. Der Nutzfahrzeug-Profi sollte im Zuge einer Kupplungsreparatur sein besonderes Augenmerk auf die Lagerstellen der Ausrückgabel, die Lagerstellen der Ausrückwelle, sowie die Ausrückgabel selbst richten.

Sind diese stufig eingelaufen, trocken, verbogen, verschlissen oder gar gebrochen, beeinträchtigt dies die Leichtgängigkeit der Mechanik, was schließlich zu Kupplungsrupfen beim Anfahren und Rangieren, zu Trennschwierigkeiten beim Schalten oder zu einer zunehmend schwerer zu betätigenden Kupplung führt. „Wegen der fehlenden Ausrückkraftbelastung ist eine manuelle Bewegungsprüfung der Ausrückwelle nicht aussagefähig. Nur eine genaue Sichtprüfung erlaubt eine klare Beurteilung“, wissen die Kupplungsfachleute.

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Pneumatische Zentralausrücker wie der „CPCA“ (Concentric Pneumatic Clutch Actuator) von Luk kommen ausschließlich in Nutzfahrzeugen mit automatisierten Schaltgetrieben zum Einsatz. Im Gegensatz zu hydraulischen Zentralausrückern werden sie nicht per Flüssigkeit, sondern pneumatisch (mit Druckluft) betätigt.
Foto: Schaeffler
Pneumatische Zentralausrücker wie der „CPCA“ (Concentric Pneumatic Clutch Actuator) von Luk kommen ausschließlich in Nutzfahrzeugen mit automatisierten Schaltgetrieben zum Einsatz. Im Gegensatz zu hydraulischen Zentralausrückern werden sie nicht per Flüssigkeit, sondern pneumatisch (mit Druckluft) betätigt.

Semi- und vollhydraulische Kupplungssysteme

Moderne Lkw und Busse sind mittlerweile fast ausnahmslos mit einer hydraulischen Kupplungsbetätigung ausgestattet. Es gibt zwei unterschiedliche Systeme: semihydraulisch oder vollhydraulisch. Bei beiden Systemen ersetzt eine „hydraulische Strecke“ den mechanischen Seilzug. Sie besteht aus einem Geberzylinder am Pedal, einer Leitung und einem Nehmerzylinder. Während bei einem semihydraulischen System ein an der Getriebeglocke montierter Kupplungsnehmerzylinder den über die Kupplungsleitung übertragenen Druck aufnimmt und auf den Ausrückhebel überträgt, übernimmt bei einem vollhydraulischen System ein Zentralausrücker diese Funktion. Dieser befindet sich innerhalb der Getriebeglocke und umschließt die Eingangswelle.

Doch auch hydraulische Ausrücksysteme sind nicht resistent gegen Verschleiß: Zentralausrücker oder Nehmerzylinder sind aufgrund ihrer Montageposition in oder an der Kupplungsglocke Hitze, Staub, Abrieb, Feuchtigkeit oder Ölnebel ausgesetzt. Das führt laut den Kupplungsspezialisten von Schaeffler Automotive im Laufe der Betriebszeit und mit zunehmender Kilometerleistung zwangsläufig zu einem erhöhten Verschleiß am Hydrauliksystem. Um Folgeschäden und unnötige Reklamationen zu vermeiden, empfehlen die Experten, Zentralausrücker oder Nehmerzylinder bei der Kupplungsreparatur immer mit zu ersetzen.

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Bei einem Getriebe mit Kupplungsweg-Sensor muss dieser nach einer Kupplungsreparatur im Steuergerät mit Hilfe eines geeigneten Diagnosesystems neu angelernt werden – andernfalls drohen Schaltprobleme.
Foto: AVL Ditest
Bei einem Getriebe mit Kupplungsweg-Sensor muss dieser nach einer Kupplungsreparatur im Steuergerät mit Hilfe eines geeigneten Diagnosesystems neu angelernt werden – andernfalls drohen Schaltprobleme.

Elektropneumatisch kuppeln

Eine weitere Möglichkeit, die Kupplung zu betätigen, ist ein elektronisch gesteuertes, pneumatisches System wie das von ZF entwickelte „ConAct“ (Concentric Clutch Actuation System). Im Reparaturmarkt werden die entsprechenden Ersatzkomponenten von ZF Aftermarket unter der Marke „Sachs“ angeboten. Im Vergleich zu einer gezogenen Kupplung mit pneumatischem Kupplungssteller, Gabel und Ausrücker besteht das „ConAct“ aus einem konzentrisch um die Getriebeeingangswelle angeordneten pneumatischen Ausrückzylinder mit gedrückter Betätigung. Der Weg des Ausrückers wird von einem Steuergerät über ein spezielles Ventil exakt geregelt. Dazu erfasst das System automatisch über den CAN-Bus übermittelte Daten wie Motor- und Getriebedrehzahl sowie die Fahrpedalstellung und ermittelt daraus die optimale Ausrückposition. Dies erleichtert dem Fahrer die Fahrzeugkontrolle in anspruchsvollen Situationen, etwa beim Rangieren, Anfahren am Berg mit schwerer Last oder auf glatter Fahrbahn.

Ein ähnliches System speziell für automatisierte Nfz-Getriebe gibt es von „Luk“, der Kupplungs-Marke von Schaeffler, mit dem pneumatischen Zentralausrücker „CPCA“ (Concentric Pneumatic Clutch Actuator). Im Gegensatz zu einem hydraulischen Zentralausrücker wird dieser nicht hydraulisch durch Flüssigkeit, sondern mit Druckluft, die bei Lkw und Bussen unter anderem auch für das Bremssystem verwendet wird, betätigt.

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Verschleiß an der Betätigungsmechanik erhöht die Pedalkraft. Sind die Lagerstellen von Ausrückgabel oder -welle trocken oder verschlissen oder die Ausrückgabel selbst stufig eingelaufen oder gebrochen, lässt sich die Kupplung nur noch sehr schwer betätigen. 
Foto: ZF Aftermarket
Verschleiß an der Betätigungsmechanik erhöht die Pedalkraft. Sind die Lagerstellen von Ausrückgabel oder -welle trocken oder verschlissen oder die Ausrückgabel selbst stufig eingelaufen oder gebrochen, lässt sich die Kupplung nur noch sehr schwer betätigen. 

Anlernen obligatorisch

Nach einem Austausch respektive einem Wiedereinbau muss der Werkstattfachmann den Zentralausrücker mit einem geeigneten Diagnosegerät im Steuergerät gemäß den Vorschriften des Fahrzeugherstellers neu kalibrieren. Ohne Kalibrieren rupft die Kupplung beim Anfahren und das Fahrzeug lässt sich unter Last schlecht rangieren. Zusätzlich kann es diverse Fehlermeldungen im Informationsdisplay des Fahrzeugs geben. Die Kalibrierung ist unter anderem aus folgenden Gründen notwendig:

Damit es Kalibrieren gibt keine Probleme beim, muss der Werkstattfachmann sicherstellen, dass der Druckluftvorrat ausreicht und dass der Luftdruck im Ausrücksystem nicht aufgrund eines verstopften Grob- und/oder Feinfilters (befinden sich üblicherweise direkt am Getriebegehäuse) zu gering ist.

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Befindet sich das Getriebe wieder an seinem Platz, muss man das Ausrücklager mit einem Montierhebel einrasten, bis ein deutlicher „Klick“ zu hören ist. Anschließend kontrolliert man, ob der Sicherungsring korrekt sitzt.
Foto: Valeo Service
Befindet sich das Getriebe wieder an seinem Platz, muss man das Ausrücklager mit einem Montierhebel einrasten, bis ein deutlicher „Klick“ zu hören ist. Anschließend kontrolliert man, ob der Sicherungsring korrekt sitzt.
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…um sich daraufhin auf das Dach zu drehen…

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