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Foto: Meyer - amz

Elektromobilität

Wer darf Hochvolt?

Selbst wenn man auf den ID.3 von VW noch länger warten dürfte, so kommen ältere Hochvoltfahrzeuge zunehmend in freie Werkstätten. Wer darf daran schrauben?

Weil elektrischer Strom ab einer gewissen Spannung prinzipiell gefährlich ist, hat der Gesetzgeber harte Grenzwerte definiert: Wechselspannung von mehr als 30 Volt und Gleichspannung von mehr als 60 Volt gelten als Hochvolt und damit als gefährlich. Auch wenn der Begriff Hochvolt nichts mit den herkömmlichen Begriffen der Hauselektrik zu tun hat, so bilden diese 30 Volt AC und 60 Volt DC die magische Grenze für alles, was in der Werkstatt mit Batterien, orangen Kabeln oder Elektroantrieben zu tun hat.

Beruhigend dabei: Für klassische Verbrenner mit Zwölf-Volt-Anlage, Nfz mit 24 Volt oder Mild-Hybride mit 48 Volt ändert sich – nichts. Diese Bordnetze bewegen sich mit ihrem Spannungsniveau unterhalb der magischen Grenze und dürfen auch künftig ohne zusätzliche HV-Qualifikation gewartet und repariert werden. Ärgerlicherweise rüsten jedoch viele Hersteller auch ihre 48-Volt-Hybridsysteme mit orangen Kabeln aus, sodass sich solche Fahrzeuge nicht ohne Weiteres von echten Hochvoltfahrzeugen unterscheiden lassen. Hier hilft nur eine genaue Kenntnis des Fahrzeugs, der Herstellerdokumentation oder ein Blick unter die Haube – Hochvoltanlagen sind als solche mit Aufklebern gekennzeichnet.

Neben der Definition der Gefahren hat der Gesetzgeber auch zahlreiche Maßnahmen getroffen, damit sich Menschen im Umgang mit Wasserkocher, Kettensäge oder E-Fahrzeug nicht ums Leben bringen. Für die Sicherheit von Maschinen gilt deswegen immer das Prinzip der Risikominimierung, bei der technische Maßnahmen Vorrang vor organisatorischen Maßnahmen oder persönlicher Schutzausrüstung haben. Aus diesem Grund sind E-Golf, Kona oder i-3 eigensicher konstruiert. Ihre Hochvoltanlage schaltet sich selbsttätig spannungsfrei, wenn ein Fehler auftritt, der Airbag auslöst oder man zum Beispiel den Zündschlüssel abzieht.

Rechtlicher Rahmen

Dieses spannungsfreie Schalten ist die technische Maßnahme des Produkts Auto, um das Risiko eines Stromunfalls so klein wie möglich zu halten. Die Eigensicherheit der Systeme schützt also nicht nur den Fahrer, sondern auch den Mecha- troniker. In der Werkstatt gilt die Richtlinie BGI/GUV-I 8686 der Unfallversicherung als rechtlicher Rahmen – und mit ihr wird es für den Unternehmer kompliziert. Schließlich obliegt ihm die Aufgabe, für die Sicherheit seiner Mitarbeiter zu sorgen. In Zeiten von Hochvoltfahrzeugen muss er die potenziellen Gefahren an dieser Stelle deswegen organisatorisch (und technisch) minimieren. Und da Wissen oftmals vor Unfall schützt, beschreibt die Richtlinie 8686 grundsätzlich drei verschiedene Wissensebenen für Mitarbeiter, die mit HV-Fahrzeugen zu tun haben.

Stufenplan

Auf Stufe eins nach dieser Definition steht die elektrotechnisch unterwiesene Person EuP. Diese EuP ist quasi das niedrigste Level und bereits nach einer zweistündigen Belehrung erreicht. Ein solcher Mitarbeiter darf Model 3, Hybrid-Jetta und ZOE auf dem Hof rangieren, waschen, die Räder wechseln oder an der Zwölf-Volt-Anlage arbeiten – allerdings nur nach Rücksprache mit und nur unter Anleitung von einem zertifizierten Fachkundigen der Stufe zwei. Schließlich muss irgendjemand vorab sichergestellt haben, dass das Fahrzeug auch noch über die vorgeschriebene Eigensicherheit verfügt.

Der Weg zu dieser zertifizierten Fachkunde und damit zur Stufe zwei ist, je nach Ausgangsqualifikation, unterschiedlich lang, beträgt aber wenigstens 16 Unterrichtsstunden. Ein auf diese Weise qualifizierter Mitarbeiter darf jetzt allerhand: Er kann ein HV-Fahrzeug annehmen, beurteilen, die Spannungsfreiheit feststellen oder herstellen und Arbeiten an der spannungsfreien HV-Anlage deligieren und beaufsichtigen. Im VW-Konzern heißen solche Fachkundigen Hochvolttechniker.

Lassen sich Fahrzeuge jedoch nicht mehr spannungsfrei schalten, endet die Qualifikation dieser Stufe zwei – für Arbeiten an Komponenten, die unter Spannung stehen, braucht es eine Qualifikation nach Stufe drei. Sie bescheinigt zertifizierte Fachkunde für Arbeiten an nicht HV-eigensicheren Fahrzeugen sowie Arbeiten unter Spannung und an HV-Energiespeichern. Der Weg zu diesem Level ist deutlich länger und ebenfalls von der Ausgangsqualifikation abhängig. Zusätzlich zu einer Schulung von wenigstens 24 Unterrichtsstunden müssen Mitarbeiter hierfür alle drei Jahre eine arbeitsmedizinische Untersuchung G25 (Fahr-, Steuer-, Überwachungstätigkeiten) absolvieren und alle zwei Jahre einen Ersthelfernachweis vorlegen. Erst dann dürfen sie Akkus öffnen oder an Unfallfahrzeugen, die unter Spannung stehen, arbeiten.

Schulung hilft

In der Praxis lauern hier einige Fallstricke: So kann zum Beispiel eine Mitarbeiterin mit zertifizierter Fachkunde ein Fahrzeug mit defektem HV-Kompressor annehmen, die Spannungsfreiheit feststellen und die Arbeiten an einen EuP deligieren. Allerdings muss sie die Arbeiten tatsächlich beaufsichtigen – und darf deswegen weder in der angrenzenden Halle arbeiten noch am Folgetag im Urlaub sein, wenn sich die Arbeit über zwei Tage hinzieht. Kommt es zu einem Unfall, hat sie ihre Aufsichtspflicht verletzt.

Für den Unternehmer ergeben sich – analog zur Risikoanalyse – also eine Reihe von Pflichten, die weit über den schlichten Kauf von Gummihandschuhen und VDE-Werkzeug hinausgehen. Weil HV-Fahrzeuge zukünftig vermehrt auftauchen werden, lohnt sich eine Schulung an dieser Stelle immer. Idealerweise qualifiziert man zudem nicht nur einen, sondern gleich mehrere Mitarbeiter.

Jens Meyer

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