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Foto: Saitow AG

E-Commerce

"Interessantes Experiment"

Serviceportale waren die Aufreger der Branche. Mittlerweile haben sich Ebay, Autoscout24 und Bosch zurückgezogen. Ein Interview mit COO Christian Koeper von der Saitow AG.

Das Aus des Werkstattportals von Autoscout24 oder der Verkauf von Drivelog legen nahe, dass digitale Marktplätze für Kfz-Serviceleistungen keine Zukunft haben. Wie beurteilt die Saitow AG die Chancen in diesem Bereich?

Im Vergleich zum Onlinehandel von Reifen, Kfz-Teilen oder Zubehör bietet die Vermittlung von Kfz-Services per Internet ein ungleich größeres Potenzial, da hier auch der “normale Autofahrer” zur Zielgruppe zählt. Jedoch ist dieser Bereich auch leider bedeutend komplexer und komplizierter. Aus meiner Sicht kann hier durchaus von der “Königsdisziplin” im automobilen E-Commerce gesprochen werden.

Mit Autoreparaturen.de ist Ihr Unternehmen im Besitz einer der dienstältesten Plattformen. Wie schneidet das Angebot in dieser Königsdisziplin ab?

Wie schwer es ist, diese Nuss zu knacken zeigt die Tatsache, dass selbst große, ambitionierte Akteure wie Autoscout24, Autobutler/Ebay oder Drivelog/Bosch hier über Zeit die Segel gestrichen haben – trotz sicherlich großzügiger Budgets und fähiger Mannschaften. Auch Autoreparaturen.de ist hier bisher nicht aus dem Stadium eines für uns sehr interessanten Experiments herausgekommen. Jedoch sind wir mit den Ergebnissen durchaus zufrieden und lernen jeden Tag dazu. Letztendlich kann sich nur derjenige ein Bild der realen Verhältnisse schaffen, der sich dem Thema auch aktiv widmet. Sicherlich ist es nicht schwer, eine Anfrageplattform für Kfz-Dienstleistungen ins Netz zu stellen, mit der der Autofahrer einen Kontakt zu Werkstatt herstellen und sein “Problem” grob umreißen kann. Auch kann eine Werkstattkette wie ATU oder Pit-Stop einen Terminkalender online stellen, in den ein Kunde seinen Terminwunsch eintragen kann. Aber diese Themen springen im Hinblick auf das theoretische Potenzial deutlich zu kurz.

Wo liegen die Schwierigkeiten und wie hoch ist das Interesse seitens Werkstätten bzw. Autohalter?

Dass das Geschäft mit Kfz-Services und -Reparaturen – anders als der Handel mit physischer Ware im automobilen Aftermarket – noch kaum Traktion im Markt hat, liegt aus meiner Perspektive im Wesentlichen an drei Dingen: Zunächst ist es sehr schwierig, ein E-Commerce-Portal zu erschaffen und zu betreiben, das die Tiefe und Breite des Servicegeschäfts abdeckt. Dazu werden Mengen von Daten aus zahlreichen Datenquellen benötigt, die es zu verbinden gilt. Stichworte sind hier Serviceintervalle, Serviceumfänge, Stücklisten, Teilepreise, Arbeitswerte, Füllmengen und dergleichen mehr. Diese miteinander zu verknüpfen, zu aktualisieren und letztendlich “E-Commerce-fähig” zu machen ist enorm aufwändig.

Dazu kommt, dass die Werkstätten heute nur bedingt bereit sind, sich in diesen Portalen zu engagieren. Man hat zwar grundsätzlich Interesse und würde das zusätzlich entstehende Geschäft auch gern mitnehmen; sobald das Thema jedoch in “Mehrarbeit” resultiert - etwa durch Beantwortung von Kundenanfragen, Koordination von Terminen per E-Mail oder dem Nachjustieren von Angeboten aufgrund von fehlenden Detailangaben - sinkt dieses signifikant. Dazu kommt, dass viele Werkstätten nach individuellen Parametern bei den Portalen verlangen - dem Hinterlegen individueller Stundensätze, dem Berücksichtigen von Einkaufsrabatten bei Kfz-Teilen oder anderen Themen, die wenn überhaupt in Eigenregie auf den Plattformen gepflegt werden können. Dies bedeutet erneut Arbeit und stetige Pflege der Daten, wodurch die Akzeptanz erneut sinkt.

Problemfeld Nummer drei ist der Autofahrer als Kunde. Um diesem ein möglichst individuelles, stichhaltiges bzw. korrektes Service-Angebot online stellen zu können, das dieser dann über das Netz bucht, müssen zahlreiche und teilweise sehr fachspezifische Fragen zu Fahrzeug und Servicehistorie gestellt und möglichst exakt und umfänglich beantwortet werden. Hier steigen viele Autofahrer aus, da sie die Antworten nicht kennen. Und hier geht es zunächst nur um Standard-Leistungen wie einer Inspektion, einem Ölwechsel oder dem Tausch von Bremsbelägen und -scheiben. Sobald ein Autofahrer ein ihm unbekanntes Gewerk beschreiben muss, ist es vorbei. Hier kommt man selten über eine Auskunft wie “mein Auspuff scheppert” oder “mein Motor ruckelt” hinaus. Auf dieser Basis ist es kaum möglich, ein Angebot zu stellen. Vielfach kann ein Kunde einen Schaden schlicht nicht selbst diagnostizieren. Auch das Thema “OBD-Dongle” löst dieses Problem nicht oder nicht ausreichend. Ich habe selbst unterschiedliche Systeme ausprobiert, und glaube nicht, dass diese Systeme ausreichenden Mehrwert bieten, so dass Kunden bereit sind, ihre Autos damit auszustatten.

Im Reparaturgeschäft ist es häufig wie in der Medizin. Um bei Beschwerden, die vielfach nur grob beschrieben werden können eine sichere Diagnose zu bekommen, muss ein Arzt aufgesucht werden. Dieser muss vor Ort untersuchen und gegebenenfalls weitere Tests durchführen, um die richtige Diagnose zu stellen. So ist es letztendlich auch bei Fahrzeugen. Was bei Bremsbelägen, Bremsscheiben und Ölwechsel noch möglich ist, ist bei auftretenden Geräuschen oder anderem ungewöhnlichem Verhalten schon deutlich schwieriger bis fast unmöglich. Hier hilft auch kein Telefonat mit einem Kfz-Experten zwecks Ferndiagnose, sondern das Auto muss per Diagnosegerät gecheckt und vor Ort auf der Bühne begutachtet werden. In diesen Fällen hilft auch das Internet bzw. die Möglichkeit des Onlinekaufs von Reparaturservices nicht weiter.

Könnten Sie uns Informationen zur Zahl der kooperierenden Werkstattpartner sowie zu Seitenabrufen bzw. Nutzerzahlen mitteilen?

Aktuell sind ca. 4.000 Werkstätten auf dem Portal aktiv. Monatlich registrieren wir zudem durchschnittlich 60.000 Unique User und 400.000 Page Impressions. Das Interesse ist also von beiden Seiten - Werkstatt und Endkunde - vorhanden. Auch bekommen wir monatlich zahlreiche Anfragen für Reparaturleistungen von unseren Nutzern. Jedoch stellen wir fest, dass ein großer Prozentsatz der Nutzer unser Werkstattportal, wie auch sicherlich Angebote von Wettbewerbern andere Portale, vor allem zur Preisrecherche nutzt, was sich letztendlich in den “Conversion Rates” [Conversion Rate ist eine Messmethode, um zu beziffern, wie oft aus Interessenten Kunden wueden; Anm. der Red.] widerspiegelt. Dieses Nutzerverhalten hat sicherlich auch zur Einstellung einiger Werkstattportale geführt.

Auf Ihrem Portal reagieren die Partnerbetriebe auf Anfragen der Autohalter, wohingegen Marktbegleiter häufig den umgekehrten Weg bevorzugen – worin liegt der Vorteil des Autoreparaturen.de-Ansatzes?

Wie bei allen Angeboten unseres Unternehmens versuchen wir auch bei Autoreparaturen.de im Sinne unserer Kunden zu agieren bzw. deren erlerntes Verhalten zu berücksichtigen. Das heißt, wir wollen Produkte und deren Bedienung so einfach, zeitsparend und “smart” wie möglich gestalten. Mit unserem Portal bieten wir den Tyre24-Kunden – also unseren vielen tausend dort einkaufenden Werkstätten – eine kostenlose Dienstleistung, um online Präsenz zu zeigen. Die teilnehmenden Werkstätten hinterlegen zunächst ihr Profil und ihre Kalkulationssätze für einzelne Reparaturen, danach erfolgen die Prozesse automatisch. Geht die Anfrage eines Nutzers ein, werden Angebote von Werkstätten in dessen Umgebung generiert und automatisch an ihn versendet. Wird ein Angebot angenommen, wird die Werkstatt anschließend informiert und erhält den Auftrag. Erst wenn es letztlich zu einem Auftrag kommt, fällt eine Provisionszahlung für die annehmende Werkstatt an. Darüber hinaus ist die Teilnahme für die Werkstätten kostenlos.

Sicherlich kommen Werkstätten so zu Zusatzaufträgen über das Internet. Eine große Masse an Aufträgen, sodass sich das Portal als eigenständiges Geschäftsmodell für uns rechnen würde, können auch wir nicht generieren. Für unser Unternehmen ist Autoreparaturen.de ein interessantes Zusatzprodukt, mit dem wir in erster Linie unseren Werkstatt-Kunden einen sinnvollen Mehrwert bieten möchten. In puncto “Traktion im Markt” sind andere B2C-Angebote aus unserem Portfolio, wie z.B. Reifen vor Ort, deutlich zugkräftiger.

Auf welcher Basis kalkuliert Autoreparaturen.de die Preise?

Die Teilnahme auf dem Portal gestaltet sich für die Werkstätten grundsätzlich sehr einfach. Im ersten Schritt erfolgt die Anlage eines Benutzerkontos. Auch können sich die Unternehmen dort eine aussagekräftige Micro-Webseite mit individuellem Firmenprofil und eigenem Layout einrichten. Im Benutzerkonto legen die Werkstätten zudem fest, für welche Pkw- bzw. Lkw-Hersteller sie welche Werkstattleistungen auf dem Portal anbieten möchten bzw. für welche Art von Service-Anfragen sie berücksichtigt werden wollen. Individuelle Verrechnungssätze der Betriebe schaffen hierbei eine preisliche Varianz. Wir verwenden bei Autoreparaturen.de die Daten der DAT als Grundlage. Angebote für die Kunden werden auf Grundlage der DAT-Datensätze in Kombination mit den hinterlegten Kalkulationsdaten, also beispielsweise Stundenverrechnungssätze sowie Preise für die jeweiligen Ölsorten, der registrierten Werkstätten erstellt. Auch ist es möglich, Pauschalpreise für bestimmte klar definierbare Leistungen wie etwa die Achsvermessung im Profil zu hinterlegen. Anhand ihres hinterlegten Leistungsprofils erhalten die Werkstätten letztlich potenzielle Anfragen von registrierten Kunden für Service- und Reparaturleistungen aus ihrer Umgebung.

Nachdem die Werkstatt die Anfragen erhalten hat, werden aufgrund der hinterlegten Verrechnungssätze Angebote für den Kunden automatisiert erstellt und versendet. Alternativ ist es auch möglich, Angebote über ein vorgegebenes Formular manuell zu erstellen. Zur Qualitätssicherung überprüft Autoreparaturen.de mit Hilfe von angestellten Kfz-Experten jedes Angebot auf Plausibilität und Vollständigkeit. Sollte gegenüber dem Kunden Klärungsbedarf bestehen, werden entsprechende Nachrichten versendet. Hat sich der Kunde schließlich für das Angebot einer Autowerkstatt entschieden, erteilt er dieser online den Auftrag zur Durchführung der Dienstleistung und vereinbart im Nachgang einen Termin.

Welche Kosten kommen auf die Nutzer zu?

Alle auf unserer B2B-Plattform Tyre24 mit einem Basic- oder Premium-Account registrierten Werkstätten erhalten das Profi-Paket kostenlos. In dem Paket enthalten sind alle Kundenanfragen, dazu Leistungen wie die angesprochene Micro-Webseite mit den Firmen- und Kontaktdaten, Verlinkung in den Suchmaschine sowie ein BackOffice zur virtuellen Verwaltung von Kundenanfragen und Nachrichten. Eine Statistik über abgegebene Angebote und erhaltene Aufträge auf Basis der eingegangenen Kundenanfragen ist ebenso inbegriffen wie ein SMS-Informationssystem zur zeitnahen Benachrichtigung des Kunden über Angebote und weitere Nachrichten.

Die Gebühr für eine erfolgreiche Auftragsvermittlung richtet sich jeweils nach dem Tyre24-Account der Werkstatt. Diese beträgt bei Kunden mit Premium-Account 2,9 Prozent vom Bruttoauftragswert, bei Basic-Account Kunden 5,8 Prozent. Für Werkstätten ohne Tyre24-Account beträgt die monatliche Gebühr für das Profi-Paket 30 Euro pro Monat. Die Provisionskosten belaufen sich hier auf 6 Prozent.

Herr Koeper, herzlichen Dank für das Gespräch!

Zur Person:

Christian Koeper ist seit diesem Frühjahr Chief Operating Officer (COO) bei der Saitow AG. Der E-Commerce-Anbieter aus Kaiserslautern betreibt unter anderem die B2B-Plattform Tyre24 und das Werkstattportal Autoreparaturen.de. Servicebetriebe haben die Möglichkeit, Teile wie Reifen, Felgen, KFZ-Ersatzteile und –Zubehör zu bestellen sowie die eigenen Dienste mit Blick auf die Autohalter anzubieten. Vor seiner Tätigkeit für Saitow war Christian Koeper u.a. als Mitgründer bei Daparto und zuvor bei Ebay im Bereich Ersatzteile aktiv.

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