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Foto: Volkswagen AG
Impressionen IAA 2019

E-Mobilität

Gute ID

Schluss mit dem vorsichtigen Herantasten: Mit dem ID.3 macht Volkswagen in Sachen Elektromobilität jetzt ernst. Doch hat der neue Stromer das Zeug zum Game Changer?

Im Volkswagenwerk Zwickau ist bald Schluss: 2020 läuft hier das letzte Auto mit Verbrennungsmotor vom Band. Ein Golf. Stattdessen werden die Arbeiter zukünftig den Batterie-elektrischen Kompaktwagen ID.3 zusammenbauen. Der Traditionsstandort in Sachsen wird damit wieder zum Schauplatz einer Umwälzung: Hier wurde 1904 der erste Horch produziert, hier entstand der Trabant, und hier wurde kurz nach der Wende mit der Fertigung des Golf II begonnen. Vorbei, Vergangenheit. Jetzt bestimmt der ID.3 das Geschehen, das erste Auto auf Basis von Volkswagens Modularem Elektrifizierungsbaukasten MEB. Ein Kürzel, das man sich merken sollte.

Der Volkswagen ID.3 ist kein Kleinwagen. Die Maße und Proportionen ähneln dem Golf Sportsvan: Die Länge des ID.3 beträgt 4,26 Meter. Die Breite liegt bei 1,81 Meter. Und mit 1,55 Meter ist der ID.3 rund zehn Zentimeter höher als ein gewöhnlicher Golf VII. Er ist von außen betrachtet die moderne Interpretation eines Kompaktwagens – hat aber eine andere Raumaufteilung. Die Sitzprobe ergibt, dass die Freiluft überm Kopf geringer ist als in einem Golf Sportsvan, weil die Passagiere erhöht auf der Batterie sitzen. Gleichzeitig ist der Fußraum vorne und hinten ausnehmend großzügig, weil der Radstand mit 2.765 Millimetern acht Zentimeter mehr misst als im Sportsvan und kein Mitteltunnel für die Auspuffanlage benötigt wird. Eine verschiebbare Rückbank gibt es leider nicht. Vier Türen dagegen immer. Kurzgefasst: Der ID.3 ist ein Golf mit Aussicht und zum Fläzen.

Direkte Kraftübertragung

Diese neuen Verhältnisse sind das Ergebnis des Batterie-elektrischen Antriebsstrangs mit dem MEB. Das Volumen zwischen den Achsen wird für den elektrochemischen Speicher gebraucht; dazu gleich mehr. Der Elektromotor überträgt seine Kraft über eine Untersetzung direkt auf die Hinterachse. Vorne unter der Haube sitzen die Nebenaggregate. Jene, die alle heutigen Pkw brauchen wie der Bremskraftverstärker oder der Wärmetauscher für die Klimaanlage. Und die anderen, die Elektroauto-spezifisch sind: Zum Beispiel der Kühler für die Flüssigkeit zur Wohltemperierung der Batterie oder das Ladegerät.

Kern der Andersartigkeit ist die Batterie. Sie speichert elektrische Energie aus dem Stromnetz. Volkswagen bietet drei verschiedene Größen mit einer verfügbaren Kapazität von 45, 58 und 77 Kilowattstunden (kWh) zum Kauf an. Was bedeutet das für die Reichweite?

Auf dem Papier und nach dem gesetzlichen Messzyklus WLTP ergeben sich daraus Aktionsradien von 330, 430 und 550 Kilometern (km). Bei kritischer Betrachtung der WLTP-Fahrkurve wird offensichtlich, dass diese Werte zu optimistisch sind: Es wird meistens mit konstant 100 km/h gefahren, und nur zweimal in der Messperiode wird wie beim Standardtest für Autos mit Verbrennungsmotor gebremst, angefahren und bis auf 131 km/h beschleunigt.

Höchstgeschwindigkeit limitiert

Die wichtigste Stellgröße bei allen Batterie-elektrischen Autos ist nicht wie häufig vermutet die Außentemperatur, sondern die Höhe der gefahrenen Geschwindigkeit. Je mehr auf dem Tacho steht, desto deutlicher steigt der Stromverbrauch. Vergleichbare Elektroautos in diesem Segment wie der Weltverkaufsmeister Nissan Leaf nehmen bei Richtgeschwindigkeit 20 bis 25 kWh/100 km aus der Batterie. Im Überlandbetrieb oder in der Stadt sind es 15 oder weniger kWh/100 km.

Übersetzt auf die drei im Volkswagen ID.3 verfügbaren Akkugrößen ergibt sich ein geschätztes Spektrum von 200 Autobahnkilometern bei der kleinsten Kapazität und über 500 Überlandkilometern bei der größten. Und weil die schnelle Fahrt über A7 und A2 wegen des exponentiell ansteigenden Luftwiderstands der Feind des Batterie-elektrischen Autos an sich ist, wird die Höchstgeschwindigkeit des ID.3 trotz 150 kW (204 PS) Motorleistung per Software auf 160 km/h limitiert.

Zurück zur Batterie. Um deren Funktion zu verstehen, hilft der Vergleich mit einem Reifen: Es gibt gewünschte Zieleigenschaften, die sich gegenseitig ausschließen. Beim Pneu zum Beispiel maximale Kurvenhaftung und minimaler Rollwiderstand. An eine Batterie werden andere Kriterien angelegt: Die relevanten Parameter sind die zyklische und die kalendarische Dauerhaltbarkeit, die volumetrische und gravimetrische Energiedichte, die Betriebssicherheit, die thermische Stabilität und – inzwischen am wichtigsten – der Preis.

Das Batteriesystem eines Volkswagen ID.3 ist aus vielen Einzelzellen aufgebaut, die wiederum in Modulen zu je zwölf Einzelzellen zusammengefasst sind. Diese Module werden meistens von asiatischen Firmen in europäischen Fabriken produziert, komplett mit Steuerungssoftware angeliefert und in der crashsicheren Metallstruktur zwischen den Achsen des ID.3 eingebaut. Volkswagen arbeitet in der Kommunikation mit dem Bild einer Tafel Schokolade, und es passt. Jedes Modul entspricht einem Stück. Die mittlere Kapazität von 58 kWh hat zwei Module mehr als das Basispaket, und in der maximalen Größe von 77 kWh sind es zwei weitere. Anders formuliert: Beim kleinsten Batteriesystem ist der Platz von vier Modulen im Fahrzeugboden frei. Das Leergewicht – offizielle Daten liegen noch nicht vor – reicht von etwa 1,7 bis 1,9 Tonnen – sehr viel für ein Auto dieser Größenordnung.

Volkswagen gibt acht Jahre oder 160.000 km Garantie auf das Batteriesystem. Um das zuverlässig zu erreichen, arbeiten die Wolfsburger Ingenieure mit einer in dieser Klasse keineswegs selbstverständlichen Flüssigkeitskühlung. Wenn die Lithium-Ionen-Zellen im optimalen Temperaturbereich sind, halten sie länger. Ein gewollter Nebeneffekt ist, dass die Batterie schneller geladen werden kann.

Der erheblichen Erhitzung beim Schnellladen an öffentlichen Gleichstromladesäulen wirkt die Flüssigkeitskühlung entgegen. Der ID.3 kann hier mit einer Leistung von 100 bis 125 Kilowatt (kW) geladen werden (auslaufender e-Golf: 40 kW). Rechnerisch sind also in einer Stunde Standzeit 100 bis 125 kWh drin. Oder 25 bis 31,25 kWh in einer Viertelstunde an der Autobahnraststätte. Genug für etwa 100 bis 150 weitere Kilometer. Zu Hause an der mit Wechselstrom betriebenen so genannten Wallbox, einer Art Sicherungskasten mit Softwarekommunikationseinheit, sind elf kW Ladeleistung möglich. Hierzu wird ein dreiphasiger Drehstromanschluss benötigt wie beim Elektroherd.

Anteil immer noch klein

Wie groß und zugleich klein das Vorhaben ID.3 ist, zeigen die Vergleichszahlen: Im Werk Zwickau sollen 2021 bis zu 330.000 Elektroautos produziert werden. Der ID.3, die baugleichen Derivate von Seat und Audi sowie vielleicht auch ein SUV auf Basis des MEB mit dem Arbeitstitel ID.4 Cross. Tesla hat seit Bestehen gut 800.000 Autos gebaut, und Nissan vom Leaf über 400.000 Exemplare verkauft. Volkswagen könnte diese Zahlen in kurzer Zeit kassieren und zur Nummer Eins der Elektroautobauer aufsteigen. In Relation zu den rund zehn Millionen Pkw, die im Konzern pro Jahr auf die Straße gebracht werden, sind das trotzdem nur gut drei Prozent.

Im Jahr 2025, so das Ziel, sollen 25 Prozent aller Neuwagen des Volkswagen-Konzerns elektrisch fahren. Ein ehrgeiziger Plan. Zuerst muss der Kunde vom Produkt überzeugt werden, was mit Einstiegspreisen ab knapp 30.000 Euro auch gelingen könnte. Der Staat unterstützt den Absatz zusätzlich mit einer direkten Kaufprämie von 4.000 Euro und einer Steuererleichterung für Dienstwagenberechtigte (0,25-Prozentregel). Und ab 2024 produziert Volkswagen einen Teil der Batteriezellen in Salzgitter selbst: Insgesamt 16 Gigawattstunden (GWh) entstehen in Eigenregie an dem Standort, der bisher TDI- und TSI-Motoren liefert. Sollte die Energiewende beim Antrieb durch den MEB so erfolgreich sein, wie das Unternehmen sich das vorstellt, wären das aber nur gut zehn Prozent des Bedarfs: Gebraucht werden 2025 bis zu 150 GWh.

Christoph M. Schwarzer

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