Herr Göhrum, wie geht es Ihnen als Teilegroßhändler in der Krise?
Michael Göhrum: Unsere Branche hat sicherlich Glück im Unglück. Da wir als systemrelevant eingestuft worden sind, mussten weder Werkstätten noch Teilegroßhandel ihre Geschäfte schließen – abgesehen natürlich von den Unternehmen, die ausschließlich im Einzelhandel für Endverbraucher tätig sind. Aber selbstverständlich ist die Krise auch bei uns zu spüren. Im März hatten wir bei uns ein Minus von sechs Prozent. Die April-Hochrechnung zeigt wesentlich deutlichere Bremsspuren, da liegen wir bei minus 20 Prozent. Allerdings ist es extrem schwierig, das durch Corona bedingte Umsatzminus exakt zu beziffern. Natürlich sind viele Menschen in Kurzarbeit, haben weniger Budget für ihre Mobilität und verschieben die eine oder andere Reparatur. Und natürlich gibt es weniger Verschleiß, wenn weniger gefahren wird. Auf der anderen Seite kann man aber schon die Frage stellen, wieviel Ware jetzt weniger aus Polen oder Tschechien kommt, weil die Grenzen weitgehend geschlossen worden sind oder wieviel Einkäufe jetzt ins Internet „verlegt“ worden sind.
Wie haben Sie im Unternehmen konkret auf die Situation reagiert?
Michael Göhrum: Als erste Maßnahmen haben wir die Abholtheken geschlossen sowie die Außendienstmitarbeiter ins Homeoffice geschickt. Dann haben wir alle externen Termine gestrichen und in der innerbetrieblichen Organisation einiges geändert. Die größte Maßnahme war die Einführung eines neuen Schichtsystems mit neuen Arbeitszeiten. Es geht ja darum, direkte Kontakte zu vermeiden und die Mitarbeiter vor einer Ansteckung zu schützen. Außerdem haben wir Homeoffice-Arbeitsplätze eingerichtet. Es bleibt die Frage was passiert, wenn man wirklich einen Positivfall in der Firma hätte. Das wäre sicherlich der Worst-Case – obwohl es dafür keine klare gesetzliche Regelung gibt. Muss man dann das Unternehmen komplett schließen oder reicht es, den betroffenen Mitarbeiter zu beurlauben?
Wie sieht es auf der Kostenseite aus?
Michael Göhrum: In so einer Situation muss man alle variablen Kosten in den Fokus nehmen. Das fängt beim Personal an. Daher haben wir Mitte April Kurzarbeit eingeführt. Der zweitgrößte Kostenblock in der Firma ist die Logistik. Man könnte zum Beispiel die eine oder andere Belieferungstour streichen, aber so weit sind wir noch nicht. Es ist halt eine Frage, ab welchem Umsatzabfall sich die eine oder andere Tour nicht mehr rechnet.
Haben die Mitarbeiter Verständnis für die Maßnahmen und ziehen mit?
Michael Göhrum: Zu 99 Prozent haben die Mitarbeiter gut mitgezogen. Letztlich sollen sie ja auch von den Schutzmaßnahmen profitieren. Von daher wird es eigentlich immer wohlwollend aufgenommen, wenn man sich kümmert. Den ein oder anderen „Strategen“ gibt es aber schon, bei dem man etwas mehr Überzeugungsarbeit leisten muss. Aber das ist ganz normal.
In der Corona-Krise haben wir erleben müssen, dass nicht alle Produkte immer verfügbar sind. Gibt es auch bei Kfz-Ersatzteilen Engpässe?
Michael Göhrum: Nein, wir als Versorgungshändler, der fast ausschließlich den Handel beliefert, fahren praktisch schon immer den Ansatz, dass unser Lagerbestand für drei Monate reichen muss. Diesen Zeitraum könnten wir ohne Nachkäufe abdecken. Wie es der Zufall will, hatten wir im vergangenen Dezember – eigentlich aus ganz anderen Gründen – damit angefangen, unseren Lagerbestand um einen Monat auf eine Reichweite von vier Monaten aufzustocken. Darüber sind wir jetzt natürlich froh.
Ist es überhaupt möglich, den Lagerbestand kurzfristig aufzustocken?
Michael Göhrum: Kaum. Es ist sehr schwierig, in dieser Beziehung kurzfristig zu agieren. Das fängt schon damit an, dass man das zusätzliche Volumen gar nicht so schnell verarbeiten kann. Wir bekommen jeden Tag zwischen 100 und 150 Paletten – diese Menge kann man nicht einfach verdoppeln oder verdreifachen, weil es dann einen riesigen Stau im Wareneingang geben würde. Von daher muss man die Anpassungen im Lagerbestand immer sehr vorausschauend planen. Ein weiterer Aspekt sind die begrenzten Lagerkapazitäten.
Was kann man als Teilegroßhändler ansonsten aus der Corona-Krise lernen?
Michael Göhrum: Es gab keine Blaupause für die aktuelle Situation. Vieles entwickelt sich jetzt spontan. Eine Erkenntnis ist, dass eine dünne Eigenkapitalausstattung im Krisenfall viel schneller zu Problemen führt, als wenn eine Firma jahrelang gut gewirtschaftet hat – und das verdiente Geld auch in der Firma gelassen hat. Insgesamt kann man sagen, dass sich der Fokus schlagartig verändert hat. Während es vor einigen Wochen vielleicht noch im Vordergrund stand, die Preise des Wettbewerbs zu analysieren oder alles noch billiger und schneller zu machen, geht es jetzt in eine ganz andere Richtung. Wer liefert jetzt noch wie zuverlässig? Wer ist mein Lieferant, der jetzt auch zu mir steht, wenn es mal enger wird? Das sind sicherlich neue Faktoren, die ins Spiel kommen. Aber eigentlich sind genau das die Tugenden des klassischen Großhandels. Vielleicht sehen manche Kunden jetzt, dass es nicht immer auf den letzten Cent ankommt, sondern dass eine verlässliche Zusammenarbeit viel wichtiger ist.
Wie beurteilen Sie die angebotenen staatlichen Hilfen?
Michael Göhrum: Die Kredite über die KfW stellen für viele mittelständische Unternehmer ein Riesenproblem dar. Als erstes muss man sich ausführlich einlesen. Welche der vielen Kreditvarianten kommt überhaupt in Frage? Als Firma in unserer Größenordnung hat man keine Stabsabteilung, die sich darum kümmern könnte. Also muss man in seiner Freizeit oder am Wochenende die Sachen durcharbeiten und sich überlegen, welches der beste Weg ist. Doch dann fangen die Schwierigkeiten erst richtig an. Dann kommt nämlich die Hausbank dazu und möchte den Jahresabschluss 2018 sehen, den vorläufigen Abschluss 2019 und eine exakte Liquiditätsplanung inkl. einer Worst-Case-Planung. Wer kann denn das alles so schnell vorlegen? Deshalb gehen die angebotenen Hilfeleistungen an den mittelständischen Unternehmen praktisch komplett vorbei. Ob der neue Schnellkredit mit einer staatlichen Haftung von 100 Prozent bei den Banken besser durchgeht, muss man sehen. Und letztendlich muss man immer bedenken, es sind Kredite, welche später aus dem laufenden Geschäft zurückbezahlt werden müssen.
Göhrum Fahrzeugteile
Seit 1924 versorgt die Göhrum Fahrzeugteile GmbH mit Hauptsitz in Sindelfingen Großhandelskunden mit hochwertigen Ersatzteilen namhafter Hersteller. Geschäftsführer Michael Göhrum ist zudem 1. stellv. Vorsitzender im Gesamtverband Autoteile e.V. (GVA).