Wie ist der Bereich Service bei ZF organisiert?
Marco Neubold: ZF verfügt über eine weltweite, segmentübergreifende Service-Organisation. Bei ZF Aftermarket kümmern sich knapp 1.000 Mitarbeiter um die Bereiche Lkw, Busse, Bau- und Landmaschinen, Rail, Marine sowie Pkw. Eine wesentliche Herausforderung ist die sogenannte Service Readiness für neue Produkte. Unsere Abteilung baut demnach parallel zur Entwicklung beim Mutterkonzern eine Struktur auf bzw. entwickelt Konzepte, um komplexe Produkte nach dem Serienstart im Markt betreuen, das heißt beispielsweise reparieren, austauschen oder instandsetzen, zu können.
ZF Aftermarket setzt hier auf ein eigenes Netzwerk…
Richtig. Vor allem für das Nfz-Segment sowie Bau- und Landmaschinen unterhalten wir weltweit eigene Service-Niederlassungen und setzen auf ein Partnernetzwerk. Aktuell verfügen wir über 650 Stützpunkte. Das Service-Partner-Netz umfasst große Werkstätten, die sich an ZF Aftermarket binden. Dafür müssen die Betriebe besondere Werkzeuge, teilweise Prüfstände vorhalten und Schulungsanforderungen erfüllen. Im Pkw-Bereich verfügen die Fahrzeughersteller zumeist über ein flächendeckendes eigenes Netz – hier liefern wir in erster Linie technische Inhalte.
Wie funktioniert der Austausch innerhalb des ZF-Konzerns?
Da wir die Service Readiness für komplexe technische Produkte wie Getriebe und Achsen sicherstellen, gibt es einen engen Austausch in die jeweiligen Entwicklungsabteilungen anderer Divisionen. Die Kollegen arbeiten eng zusammen, weil wir als Aftermarket-Division einerseits die Technik der bestehenden Produkte verstehen und zudem auch wissen müssen, in welche Richtung die Entwicklung geht und wo die neuen Komponenten eingesetzt werden.
Als aktuelles Beispiel dieser engen ZF-internen Abstimmung lassen sich Produkte für Elektrofahrzeuge anführen. Wann wurde die Elektromobilität ein Entwicklungs- und somit auch ein Service-Schwerpunkt?
Die Elektromobilität ist streng genommen kein neues Thema, sondern begleitet die Automobilindustrie seit geraumer Zeit. Nehmen wir den Radkopf der AVE 130 als Beispiel. Dieses Produkt haben wir seit zehn Jahren im Service. Bei dieser elektrifizierten Portalachse finden sich übrigens auch zahlreiche mechanische Teile, die getauscht werden. Der relevante Punkt ist, dass Elektrofahrzeuge aktuell erstmals signifikante Stückzahlen erreichen – das Stadium der vereinzelten Prototypen liegt hinter uns. Zudem steigt die Akzeptanz in der Bevölkerung – wir stehen am Beginn der Hochlaufphase.
Wann kommt das Thema in der freien Werkstatt an?
Zwar erreichen Neuentwicklungen den Independent Aftermarket mit Verzögerung, trotzdem müssen sich Kfz-Betriebe frühzeitig mit technischen Innovationen beschäftigen und Know-how aufbauen. Mit steigenden Stückzahlen und wachsendem Fahrzeugalter nimmt die Servicerelevanz auch für den freien Markt zu. In unserer Serviceorganisation spielt auch der Pkw im IAM seit etwa drei Jahren eine Rolle. Die Nachfrage wird steigen: Mit dem „Electric Vehicle Drive“ rüsten wir mit dem EQC von Mercedes-Benz schließlich erstmals ein Pkw-Volumenmodell mit einem elektrischen Antrieb aus.
Was ist der Unterschied zum Nutzfahrzeug-Segment?
Unsere Nfz-Anwendungen betreffen geringere Volumina. Zudem sind der Reparatur- und Wartungsaufwand verschieden: Der Arbeitsanteil von Werkstätten hält sich beim Electric Vehicle Drive, dem EVD 2, in Grenzen. Im Gegensatz zur erwähnten AVE 130 lässt sich beim EVD 2-Antrieb höchstens die E-Maschine austauschen. Ansonsten sehe ich im Moment keine weiteren Betätigungsfelder für Werkstätten. Vielleicht lernen wir aber die nächsten Jahre, dass bei den Pkw- Produkten noch andere Komponenten und Teile ausfallen können.
ZF positioniert sich als technischer Industriepartner für Betriebe, die Services für Elektrofahrzeuge anbieten wollen. Was steckt hinter der Idee von Elektro-Stützpunkten?
Es braucht intelligente Lösungen. Wir stellen uns auch in unserer Servicestruktur die Frage, ob jeder Stützpunkt wirklich alles reparieren können muss. Die Alternative ist eine Spezialisierung und der Zusammenschluss in einem sich ergänzenden Netzwerk. Spezialisierte Betriebe verfügen darin über die erforderliche Ausstattung und das entsprechende Know-how. Dieses Prinzip lässt sich auch auf die Elektromobilität übertragen. Als technischer Partner bietet ZF Aftermarket Beratung und Schulungen. Über die Teilehandelspartner können Elektro-Stützpunkte Ersatzteile und Ausrüstung beziehen.
Welches Potenzial bietet der neudeutsch Predictve Maintenance genannte Bereich der vorausschauenden Wartung?
Wenn ich bei diesem Stichwort etwas ausholen darf: ZF hat vor einigen Jahren diversifiziert und produziert Getriebe für Windkraftanlagen. Die zuständige ZF-Division Industrietechnik startete in der Folge ein Predictive Maintenance-Projekt. Dort errechnen die Kollegen mit Openmatics-Anwendungen auf Basis eingebauter Sensorik die Wahrscheinlichkeit eines Turbinenausfalls. Warum erwähne ich diese industrielle Anwendung? Ein defektes Windrad führt aufgrund einer langwierigen Ersatzteilversorgung und des großen Reparaturaufwands zu hohen Kosten. Demnach lohnen sich die hohen Aufwendungen einer vorausschauenden Wartung.
Gibt es bereits Anwendungen im Fahrzeugsegment?
Die Windenergie bietet sich aufgrund der geschilderten Gründe – Investitionssumme und Ausfallrisiko – an. Seit 2019 bietet ZF auch sein Nutzfahrzeuggetriebe TraXon mit einer optionalen Predictive-Maintenance-Lösung an. Dadurch können Wartungen vorausschauend geplant, Fahrzeug-Stillstandzeiten verkürzt und Liegenbleiber vermieden werden. Das senkt nicht nur die Kosten, sondern verlängert gleichzeitig die Lebensdauer des Getriebes. Im Pkw-Segment ist man noch nicht ganz so weit. Neben den Kosten ist der Datenschutz ein weiterer Grund. Nichtsdestotrotz bieten Digitalisierung und Konnektivität mehr und kostengünstigere Möglichkeiten. Predicitve Maintenance ist ohne Zweifel eines der großen Zukunftsfelder.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person: Marco Neubold arbeitet seit September 2000 in der Aftermarket-Organisation am Standort Schweinfurt. Er hat in Tübingen Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Organisation studiert. Seit Juli 2018 ist er als Vice President für die weltweite Serviceorganisation von ZF Aftermarket verantwortlich.