Image
Foto: Aldi Sd
Aldi errichtet Schnellladestationen an den eigenen Filialen.

Markt

Ein Markt im Hochlauf

Überlastete Stromnetze, Stecker-Chaos und teurer Strom: Das Laden von batterieelektrischen Fahrzeugen ist komplizierter als der Tankvorgang beim Diesel. Ein aktueller Blick auf die Ladeinfrastruktur.

Umdenken oder liegenbleiben: Das Laden eines Batterie-elektrischen Autos wird kein Ersatz fürs Tanken. Der Ablauf ist anders – und hat einen schlechten Ruf. Die Lade-Infrastruktur, so heißt es in digitalen Diskussionsforen, wäre ein einziges Chaos aus Steckern, Bezahlsystemen und Abrechnungsmethoden. Die Wirklichkeit verbessert sich im Gegensatz zur skeptischen Annahme jedoch täglich. Ob die Aktivität von Autoherstellern und Ladesäulenbetreibern allerdings ausreicht, kann sich erst im langfristigen Zusammenspiel aus Fahrzeug- und Infrastrukturzuwachs zeigen.

Die Basis fürs Batterie-elektrische Leben ist das Laden zu Hause oder am Arbeitsplatz. Volkswagen etwa geht für den ID.3 (Auslieferung ab Frühsommer 2020) davon aus, dass 70 Prozent der Vorgänge auf diese Orte entfallen. Hier genügt es, eine Wallbox zu installieren: Für circa 1.000 Euro plus Montage kann Wechselstrom (abgekürzt AC für alternating current) geladen werden. Im Pkw befindet sich dann ein Ladegerät, weil Batterien Gleichstrom brauchen. Eine Wallbox kann, wenn sie an den in Mitteleuropa üblichen drei Phasen angeschlossen ist, bis zu 22 Kilowatt (kW) Leistung anbieten. Im Regelfall kann das Elektroauto aber weniger aufnehmen und ist darum der begrenzende Faktor. Hintergrund: Die internen Ladegeräte sind teuer, schwer und brauchen Platz. Außerdem streben die Hersteller hohe Stückzahlen an, um Kosten zu senken. Und weil weltweit gesehen vorwiegend einphasige Leitungen verbreitet sind, werden viele Elektroautos mit einer entsprechend geringen Ladeleistung von maximal 7,4 kW ausgeliefert.

AC für zu Hause, DC für unterwegs

Wichtig für den Halter ist nur zu wissen, dass es zu Hause und am Arbeitsplatz häufig egal ist, wenn das Fahrzeug lange steht und langsam lädt. Anders sieht es aus, wenn große Distanzen bewältigt werden sollen. Dann ist das Elektroauto auf die öffentliche Lade-Infrastruktur angewiesen.

Je nach Quelle – eine verlässliche, zentrale Erfassung gibt es nicht – sind in Deutschland zurzeit knapp 20.000 Ladepunkte in Betrieb, wobei auf eine Säule meistens zwei Punkte entfallen. Die Bundesregierung strebt für das Jahr 2020 bereits die 100.000er Marke an. Eine idealisierte Vorstellung, denn trotz üppiger staatlicher Förderprogramme gelingt der Aufbau nicht so zügig wie erwartet. Entscheidend für die Langstrecke sind die schnellen Gleichstrom (abgekürzt DC für direct current)-Standorte. Aktuell gibt es rund 1.800 davon in Deutschland; wenn man die EU, die Türkei, Russland und die nordafrikanischen Staaten dazurechnet, sind es etwa 7.200 mit stark steigender Tendenz.

Auch an den DC-Punkten ergibt sich wieder die Frage, wie viel Strom die Säule anbietet und wie viel das Elektroauto aufnimmt. Viele Bestandssäulen sind auf maximal 50 kW ausgelegt – genug für den auslaufenden Volkswagen e-Golf, der bis zu 40 kW verdaut. Neue DC-Säulen kommen auf mindestens 150 oder sogar 350 kW Leistung. Das ist auch nötig, denn der Volkswagen ID.3, siehe oben, nimmt bis zu 125 kW auf, der Audi e-tron bis zu 150 kW, und der Porsche Taycan bis zu 350 kW.

Was aber bedeuten diese Zahlen? Mathematisch ergeben zum Beispiel die 150 kW Ladeleistung bei einem Audi e-tron die Möglichkeit, in einer Stunde 150 Kilowattstunden (kWh) zu speichern. Laden aber ist nicht tanken: Es beginnt schnell und wird im Verlauf immer langsamer. Und wie genau die Ladekurve verläuft, hängt von etlichen Faktoren ab. Am wichtigsten ist die Temperatur. Ein Audi e-tron kann bis zu einem Batterieladestand (abgekürzt SOC für State of Charge) von 70 Prozent über 140 kW ziehen – wenn der elektrochemische Speicher weder zu kalt noch zu warm ist. Für eine gute Klimatisierung hat der e-tron insgesamt vier getrennt regelbare Kühlmittelkreisläufe. Andere Elektroautos sind wesentlich simpler aufgebaut und reduzieren die Ladeleistung nach kurzer Belastung radikal; ein Vorgang, der erstmals beim Nissan Leaf II kritisiert wurde und als „Rapidgate“ bekannt ist.

Grenzszenario Urlaubsanfang

So lange der Aufbau der Infrastruktur dem Zuwachs der Fahrzeuge immer einen Schritt voraus ist, gibt es aber keinen Engpass im öffentlichen Raum. Der positive Ist-Zustand kann sich jedoch leicht ändern, wie in Norwegen zunehmend sichtbar wird: Es gibt Warteschlangen an DC-Säulen. Und Szenarien wie der erste Tag der Schulferien werden das System nach heutiger Einschätzung ohnehin überfordern; hierauf hat die Industrie noch keine befriedigende Antwort.

Was inzwischen wesentlich besser funktioniert als vor fünf Jahren ist die Identifikation an den Ladesäulen zur Freischaltung des Stroms sowie die eichrechtskonforme Abrechnung: Fast alle öffentlichen Standorte haben eine niederschwellige Identifikationsoption. Es genügt meistens eine einzige RFID-Karte oder eine App. Das technische Nahziel ist, dass nach dem Einstecken des Kabels alles inklusive der Rechnungsstellung automatisiert abläuft. Bei Teslas Superchargern war das von Beginn an der Fall; die anderen werden wohl noch drei Jahre brauchen, bis sich „Plug amp; Charge“ durchsetzt. Die dafür notwendige Norm ISO 15118 jedenfalls ist in Kraft.

Eichrechtskonforme Abrechnung in kWh-Einheit

Ein großes Ärgernis waren und sind verwirrende Tarifmodelle an DC-Säulen. Weil die eichrechtskonforme Zählung fehlt, rechnen die Betreiber mit Pauschalen („Session Fee“) ab. Je nach Fassungsvermögen von Batterie und Geduld des Fahrers können acht pauschal berechnete Euro jedoch sehr günstig oder extrem teuer sein. Abhilfe kommt erst, wenn neue Säulen und die im Bestand nach den Vorgaben der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig die Kilowattstunden zählen. Nach einer aktuellen Umfrage des IKT für Elektromobilität befinden sich neun von 17 Hardwareproduzenten in der so genannten Konformitätsbewertung. Bis Ende 2020 soll der Prozess abgeschlossen sein.

Die Landeseichdirektionen erlauben aber immer häufiger Übergangsregeln, die jetzt schon die Abrechnung nach kWh statt nach Phantasiemaßstäben freigeben: An DC-Säulen liegen die Preise bei 40 bis 60 Cent pro kWh. Diese im Vergleich zu Autos mit Verbrennungsmotor hohen Kosten – auf der Autobahn sind Verbrauchswerte von 20 bis 25 kWh / 100 km normal – resultieren unter anderem daraus, dass die Versorger auf den Ladestrom sämtliche Abgaben zahlen müssen, die auch an der Haushaltssteckdose fällig sind. Der Mehrpreis gegenüber dem Heimstrom ist unvermeidbar, weil die Säulen inklusive Wartung und Software-Backend viel Geld kosten.

Das Elektroauto als Teilnehmer an der Strombörse

Der Markt befindet sich also im Hochlauf. Häufig werden die Pläne der Industrie als iterativ bezeichnet, was zugespitzt bedeutet, dass man sich dem Ziel einer perfekten Lade-Infrastruktur durch Versuch und Irrtum annähert. Das Grundsätzliche funktioniert – so lässt sich die Situation bei der Lade-Infrastruktur zusammenfassen. An etlichen vielversprechenden Ideen und anstrengenden Details muss allerdings noch gearbeitet werden. Ein konkretes Beispiel ist das kabellose bzw. induktive Laden für zu Hause, das bei einzelnen BMW-Modellen bestellbar ist.

Auch das netzdienliche oder bidirektionale Laden von Batterie-elektrischen Autos ist weiterhin in der Konzeptphase. Das deutsche Stromnetz an sich ist hierfür nicht ausreichend digitalisiert; trotzdem strebt Volkswagen an, den ID.3 im Produktionsverlauf mit diesen beiden Features auszustatten. Die Vision: Das Elektroauto könnte als Speicher Einkäufer und Verkäufer an der Strombörse werden.

Für Fahrer und Nutzer von E-Fahrzeugen türmen sich ganz banale Hürden auf: Die Bundesregierung hat das Miet- und Wohneigentumsrecht nicht der Realität angepasst. In Eigentümergemeinschaften ist also das Veto eines Einzelnen ausreichend, um für alle anderen die Installation einer Wallbox in der Tiefgarage zu verhindern.

Immerhin haben sich mit Typ 2 für AC und CCS für DC zwei Steckerstandards durchgesetzt. Kein Anlass zur Sorge ist aus jetziger Perspektive übrigens die Frage, wie der Strom in die Steckdose hineinkommt: Der Bestand der Elektroautos wächst so langsam, dass es viele Jahre dauern wird, bis zusätzliche Kraftwerkskapazitäten geschaffen werden müssen. Natürlich vorzugsweise mit Strom aus Wind und Sonne. Christoph M. Schwarzer

Aktuelle Übersicht über den Ausbau der Stromtankstellen in Deutschland: https://www.goingelectric.de/stromtankstellen/
Zahl der Ladestationen im internationalen Vergleich: http://ccs-map.eu/stats/

Image

Markt

Einmal tanken – 7,90 Euro

Die Telekom will ihre Stromverteilerkästen zu E-Auto-Tankstellen upgraden. Damit bekäme die bundesweite Ladeinfrastruktur auf einen Schlag ein um mehrere tausend Ladepunkte erweitertes Netz.

    • Markt
Image
Renault Mégane E-Tech Electric ist das E-Flaggschiff der Franzosen

Ladesäulenmangel

Renault-Chef warnt Elektrofahrzeug-Interessenten

Die Ladeinfrastruktur ist essentiell für den Betrieb eines E-Fahrzeug. Renault-Chef Luca De Meo äußert sich kritisch gegenüber der Anschaffung eines Stromers, sollte man diesen nicht zu Hause laden können.

    • PKW - Motor, Getriebe, Antrieb
Image
Das E-Autoladen wird einfacher

E-Auto-Infrastruktur

Mehr als 60.000 Ladepunkte am Netz

Der Ausbau der Ladeinfrastruktur nimmt offenbar Fahrt auf. Ob das reicht, ist offen.

    • Elektromotor, Elektronik + Digitalisierung
Image
VW gibt seine ID-Modelle für bidirektionales Laden frei

Bidirektionales Laden

VW speist zurück

Mit bidirektionalem Laden sollen E-Autos künftig das Stromnetz stabilisieren. VW will die Technik künftig bei verschiedenen ID-Modellen aktivieren. Auch bei bereits ausgelieferten Fahrzeugen.

    • Elektromotor