Image
Foto: amz - Jagels

Teilehandel

„Digitale Lösung für den IAM“

Thomas Vollmar schreckt vor der Werkstattsteuerung nicht zurück, sondern möchte sie für die Carat und den IAM nutzen. amz hat sich mit dem Carat-Chef über die Chancen von Drivemotive unterhalten.

Thomas Vollmar hat vor der fortschreitenden Werkstattsteuerung keine Angst, sondern möchte sie für den IAM nutzen. Der Carat-Geschäftsführer und Präsident von AD International wirbt für eine offene Branchenlösung: Mit dem Mobilitätsdienst Drivemotive ist die Carat in Vorleistung gegangen und hat eine Plattform aufgebaut, um Autofahrern und Flottenmanagern Mehrwert zu bieten. Die ersten Werkstattpartner akquirieren bereits fleißig Kunden und auch die strategische Zusammenarbeit mit anderen Handelsgruppen nimmt Gestalt an, wie Thomas Vollmar im amz-Interview erklärt.

amz: Vor welchen Herausforderungen stehen freie Werkstätten aktuell – im Pressegespräch vor der Carat-Leistungsmesse fielen die Stichworte Servicesteuerung und Serviceauslastung?

Thomas Vollmar: Eine stagnierende Wirtschaft, aber auch OEM sowie branchenfremde Marktteilnehmer, die sich immer mehr auf das Kerngeschäft des IAM konzentrieren, sorgen aktuell für eine sinkende Serviceauslastung in den freien Werkstätten. Durch Telematiksysteme, die durch die OEM ab Werk verbaut werden und eine voranschreitende Digitalisierung des Reparatur- und Servicegeschäfts auslösen, hat die Steuerung von Werkstattaufträgen in den letzten Jahren immens zugenommen. Ein Prozess, der sich nicht mehr aufhalten lässt, der jedoch nicht nur als Gefahr für den IAM und die freie Werkstatt, sondern vielmehr als Chance gesehen werden darf. Das bedeutet, wir dürfen uns vor dieser Entwicklung nicht verschließen, sondern müssen möglichst frühzeitig diesen Trend nutzen und für den IAM zugänglich machen.

Wie weit ist die Beeinflussung der Autohalter durch Telematikdienste und eCall seitens der Autobauer mittlerweile fortgeschritten?

Die zunehmende Digitalisierung und der ständige Einsatz digitaler Medien in unterschiedlichsten Bereichen des Lebens sind für die Kunden mittlerweile zur Gewohnheit geworden. Einfache, komplexitätsreduzierte und smarte Lösungen für alltägliche Probleme werden gefordert und haben einen klaren Vorteil gegenüber analogen Angeboten. Die Akzeptanz der Kunden zur Digitalisierung geht bereits so weit, dass diese Eingriffe in Entscheidungsprozesse für einen möglichst smarten Prozess billigen – oftmals entscheidet der Autofahrer zum Beispiel nicht mehr selbst, in welche Werkstatt er geleitet wird. Die Mobilitätsdienstleistungen durch den OEM werden durch den Autofahrer akzeptiert und dienen als starkes Kundenbindungsinstrument.

Carat hat sich an den digitalen Marktplätzen Carmunication und Caruso beteiligt. Welches Ziel verfolgt die Teilehandelskooperation mit diesem Engagement?

In einer zunehmend digitalisierten und vor allem datengetriebenen Marktumgebung wird der Zugang zu individuellen Kundeninformationen immer wichtiger – wer die Daten hat, macht das Geschäft. Besonders der Zugriff auf Echtzeit-Fahrzeugdaten aus den bereits verbauten OEM-Telematiksystemen bleibt für den freien Markt aktuell noch größtenteils verwehrt. Ein Wettbewerbsnachteil, der sich durch sogenannte Retro-Fit-Lösungen (Dongle) nicht einfach auflösen lässt. Sowohl der Aufwand, Fahrzeuge per Dongle zu vernetzen, als auch die Datentiefe sind nicht zu vernachlässigen.

Auf politischer Ebene wird deshalb aktuell über einen Gesetzesentwurf diskutiert, der die OEM-Fahrzeugdaten, nach Einwilligung durch den Fahrer, für den IAM zugänglich macht. Dies wäre ein Durchbruch, der zwingend notwendig aber auch im administrativen, strategischen und technischen Aufwand nicht zu unterschätzen ist.

Es ist wichtig, diesen Prozess auch seitens des IAM zu unterstützen. Carmunication und Caruso stellen in diesem Szenario die einheitliche Schnittstelle zwischen OEM und IAM dar und ermöglichen die zwingend notwendige Harmonisierung und Standardisierung der Fahrzeugdaten zur weiteren Nutzung und Verarbeitung für den freien Markt. Einige wenige Testfahrzeuge haben wir bereits über Caruso an unsere Plattform angeschlossen – weitere sollen natürlich folgen.

Beide Initiativen haben sich eine offene Struktur verordnet und verfügen über Partner, Anbieter und Nutzer aus vielen Bereichen. Mittlerweile arbeiten Sie zusammen mit der ATR, ausgewählten Industriepartnern und Caruso an einer Branchenlösung. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und welche Ziele verfolgen Sie gemeinsam?

Der in den letzten Jahren vorangeschrittene Wandel im Independent Aftermarket wird maßgeblich von den Einflussfaktoren „Digitalisierung, Internationalisierung, Vertikalisierung und Automatisierung“ beeinflusst, die ein abgestimmtes Handeln seitens der Teilnehmer verlangen. Generell merken wir, dass sehr großes Interesse an einer digitalen Lösung für den IAM besteht und mittlerweile auch die Bereitschaft wächst, sich in diesem Sinne zusammenzusetzen und ein gemeinsames Konzept zu erarbeiten, das die Bedürfnisse des Marktes optimal abbilden kann. Dieses Umdenken hat sich in den letzten Jahren stark verfestigt und zu Schritten geführt, die wenige Jahre zuvor in unserer Branche undenkbar gewesen wären. So hat die ATR parallel zur Carat ebenfalls sehr gute Lösungsansätze entwickelt und kam zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Insofern hat sich nach einigen Gesprächen die Überzeugung gefestigt, dass es mehr als sinnvoll ist, im Rahmen einer strategischen Allianz die beidseitig entwickelten, sich wunderbar ergänzenden Module zusammenzufügen und mit gebündelten Kräften nach vorne zu bringen. Wesentliche Bestandteile für alle im IAM angedachten Plattformen sind u.a. die Dongles und ein IAM-Online-Buchungssystem für Werkstätten. Hier sind sich die Handelsgruppen ATR, Nexus und Carat mit den wichtigsten Teileherstellern darüber einig, dass Branchenstandards festgelegt und als Grundlage für Ausschreibungen dienen sollen.

Wofür steht der Name Drivemotive?

Mit Drivemotive trennen wir uns klar von dem Gedanken an eine reine Werkstattplattform. Zusammengesetzt aus den Worten „drive“ und „automotive“ steht für uns die individuelle und selbstständige Mobilität des Autofahrers im Zentrum und wir erfüllen somit die Anforderungen an eine Mobilitätsplattform, die viele Services vereint. Der Werkstattservice ist dabei nur einer von Vielen. Die Auswahl, welche weiteren folgen, trifft der Kunde. Mit Drivemotive denken wir aus Sicht des Kunden. Damit wollen wir der Partner für Mobilität sein, der durch intelligente Vernetzung komfortablen Service und Sicherheit bietet – überall, zu jeder Zeit.

Wie reagieren die Werkstattpartner bislang?

Durch intensiven Austausch mit den Werkstätten konnten wir diesen die anfängliche Skepsis nehmen und das konstruktive Feedback mit in unsere Überlegungen einfließen lassen. Mittlerweile haben wir bei weiteren Gesprächen gemerkt, dass sich die Werkstätten intensiver mit der Digitalisierung und der Vernetzung zum Kunden auseinandergesetzt haben, zielgerichteter Fragen stellen, Antworten fordern und großes Interesse daran besteht, das System live zu testen.

Zur Registrierungs-Offensive zur Carat-Messe im Oktober haben wir direkt 200 Werkstätten angeschlossen – täglich folgen weitere, die an Drivemotive teilnehmen möchten. Durch die wachsende Zahl an Werkstätten erhalten wir von diesen viel Input aus dem Markt, das uns bei der Digitalisierung der einzelnen Schritte unterstützt und bestärkt.

Wie musste der vor zwei Jahren angedachte Web-Shop bzw. die spätere Werkstattplattform Mecanto/ Drivemotive angereichert werden, um sich zur Mobilitätsplattform zu entwickeln? Was benötigen Autohalter, um den Zugang ins Fahrzeug bzw. einen Kommunikationskanal zu gestatten und den Nutzen zu sehen?

Ursprünglich war der Gedanke, den Verkauf von Teilen ergänzend ins Internet zu verlegen sowie den Werkstattservice auf dieser Plattform zu integrieren. Angesichts der Erfahrungen und Entwicklungen im Laufe der Zeit, hat sich gezeigt, dass der Gedanke erweitert werden muss: Ziel der Digitalisierungsstrategie ist es, das Geschäft des IAM von morgen abzusichern. Hierzu ist es notwendig, die Schnittstelle zum Kunden dauerhaft aufrechtzuerhalten. Die Bündelung unterschiedlicher Services auf einer Mobilitätsplattform sichert eine regelmäßige Nutzung und somit Kundenbindung an die Plattform. Der Werkstattservice ist dabei ein wesentlicher Teil des Mobilitätsangebotes, welchen wir digital abbilden und so möglichst benutzerfreundlich gestalten. Der Autofahrer benötigt hierzu lediglich die App auf seinem Smartphone sowie, um insbesondere fahrzeugspezifischen Services vollumfänglich nutzen zu können, einen Dongle.

Was beinhaltet das zur Messe angebotene Starter-Paket für Werkstätten?

Mit dem Drivemotive-Start-Paket haben interessierte Werkstätten die Möglichkeit, den Drivemotive-Werkstattservice kostenfrei zu testen und erste Erfahrungen zu sammeln. Enthalten sind zehn Dongle, Give Aways, POS-Material sowie der Zugang zum Dashboard. Damit wollen wir die Pilotwerkstätten dabei unterstützen, die Digitalisierung in interne Prozesse zu implementieren und die direkte Schnittstelle zum Kunden über die App abzubilden. Alle interessierten Werkstätten können sich auch weiterhin auf der Drivemotive-Homepage für die Pilotphase registrieren und erhalten anschließend ebenfalls das Startpaket.

Als Schnittstelle im Pkw-Bereich fungiert der Dongle des Anbieters Pace. Im Nutzfahrzeugbereich nutzt Drivemotive die umfangreichere Lösung eTruck von Texa. Welche fahrzeugbezogenen Informationen werden, Stand heute, denn jeweils abgefragt?

Je nach Fahrzeug können teilweise unterschiedliche Datenpunkte abgefragt und verarbeitet werden. Wir nutzen und speichern jedoch nur die Datenpunkte, die für die Erstellung von individuellen Angeboten für den Autofahrer relevant sind. Durch die Anreicherung der Services mit Daten ist es uns möglich, das Angebot so individuell wie möglich auf die Bedürfnisse des Kunden zuzuschneiden und so einen echten Mehrwert für diesen zu schaffen. Generell erlaubt uns die Auswertung zudem eine bessere Planbarkeit für die Werkstatt und mehr Transparenz sowie User Experience für den Autofahrer und dadurch eine erhöhte Kundenzufriedenheit.

Wie sinnvoll sind Dongle-Lösungen vor dem Hintergrund der Bestrebungen einiger Hersteller, den Zugang über die OBD-Schnittstelle zu verschlüsseln?

Der Dongle stellt für unser Projekt keine Komplettlösung dar, sondern dient lediglich als Teillösung bzw. Retro-Fit-Lösung für Fahrzeuge, welche zwar mit OBD-2-Schnittstelle, aber ohne verbautes Telematiksystem ausgestattet sind. Auf Fahrzeugdaten, welche direkt über OEM-Telematiksysteme gesendet werden, hat der IAM aktuell noch keinen Zugriff. Die politische Lage ändert sich aber dahingehend, dass künftig nicht der OEM, sondern der Autofahrer selbst entscheidet, ob die Daten zur Verfügung gestellt werden. Damit hat Drivemotive künftig die Möglichkeit, Fahrzeugdaten über Dongle, aber auch direkt aus dem Fahrzeug über Carmunication und Caruso zu empfangen und mit Mehrwert für den Autofahrer zu verarbeiten.

Herr Vollmar, besten Dank für die Antworten!

Zur Person: Thomas Vollmar ist seit 1997 Geschäftsführer der Carat-Gruppe. Zuvor war der studierte Betriebswirt Geschäftsführer von ad-Augros. Die Leitung der Carat übernahm er nach der Fusion der beiden Handelshäuser. Darüber hinaus verantwortet der Manager die ad-Cargo KG, ist Präsident der AD International, sitzt im Beirat bei Partslife und fungiert als Beiratsvorsitzender von Teilen e.V.

Image

Teilegroßhandel

Kfz-Werkstätten im Fokus

Die Onlineplattform eBay spielt im Teilehandelsgeschäft eine wichtige Rolle – bislang vor allem beim Endkunden. Aber der Anteil der Werkstattkunden soll steigen. Andreas Wielgoss, Director Parts & Accessories bei eBay Deutschland, erläutert die Hintergründe.

    • Teilegroßhandel
Image

Diagnosezugang

Security Gateway: "Kein standardisiertes Vorgehen"

Fiat Chrysler verschlüsselte als erster Autobauer die OBD-Schnittstelle. Den Datenzugriff müssen sich Werkstätten seither erkaufen. Spannend wird es laut Harald Hahn vom ASA-Verband bei der künftigen Remote-Diagnose über Funk ("Over-The-Air").

    • Diagnose, Diagnosegeräte, Werkstatt-Ausrüstung, Organisationen und Verbände
Image

Teilegroßhandel

Select AG: Weiter auf Kurs

Stephan Westbrock, Vorstandsvorsitzender der Select AG, spricht im amz-Interview über die aktuelle wirtschaftliche Situation, die geplante Telematik-Lösung und die neue Vertriebsstruktur seines Unternehmens.

    • Teilegroßhandel, Markt
Image

NTN-SNR Roulements

Interview mit Nico Carucci: Über unnormale Zeiten

Der Vertriebsprofi kennt das Geschäft: Er war bei Champion, Sogefi, Denso und wechselte während der Krise zu NTN-SNR. Im amz-Interview erzählt er vom Einstieg unter erschwerten Bedingungen.

    • Motor und Antrieb, Fahrwerk, Zulieferindustrie