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Foto: Volkswagen AG
Ausgefeilte Messtechnik ermöglicht den neuen Standard für realistische Verbrauchswerte.

Abgasnormen

Die Luft wird immer reiner

Partikel, NOx, Euro6d-TEMP, WLTP, RDE, EVAP, ISC, FCM – die Reinigung von Abgasen wird immer anspruchsvoller und komplexer. Die Zusammenhänge und die nächsten Schritte.

Wertverlust und Fahrverbote: Die Angst der Autohalter vor kontinuierlich strengeren Abgasnormen ist begründet. Eine staatliche Garantie, dass der neu oder gebraucht gekaufte Pkw zukunftsfest ist, gibt es nicht. Seit Dieselgate, dem Skandal um manipulierte Stickoxidemissionen, bröckelt der Bestandschutz. Nichts ist mehr sicher. Umso wichtiger ist es, die aktuelle Abgasnorm Euro 6 zu verstehen: Auf dem Papier sind die nominalen Grenzwerte seit 2014 unverändert. Trotzdem müssen die Hersteller mit immer neuen Reinigungsanlagen wie dem Partikelfilter für Benzindirekteinspritzer oder dem SCR-Katalysator für Dieselmotoren aufrüsten. Was passiert hier eigentlich? Es ist kompliziert.

Blick in den Fahrzeugschein hilft

Für die Einführung einer Abgasnorm sind zwei Kalenderdaten relevant: Wenn ein Automodell auf den Markt kommt, muss jede Motor-Getriebekombination eine so genannte allgemeine Typprüfung oder Homologation durchlaufen. Diese gilt für alle in der Folge produzierten Autos aus der Großserie. Neben diesem Typprüfungsdatum einer Baureihe ist das Datum der Neuzulassung eines konkreten Pkws von Bedeutung. Im Regelfall wird eine neue Abgasnorm zuerst für alle Homologationen und in einem gewissen Abstand für alle Neuzulassungen eingeführt. Dieser zeitliche Abstand von bis zu zwei Jahren führt dazu, dass zum identischen Erstzulassungsdatum Fahrzeuge mit verschiedenen Abgasstandards auf die Straße kommen dürfen. Beim Kauf eines Neu- oder Gebrauchtwagens hilft der Blick in den Fahrzeugschein (offiziell Zulassungsbescheinigung Teil I): Unter Position 14.1 befindet sich der Schadstoffschlüssel. Dieser lässt sich über die gebräuchlichen Nachschlagewerke exakt einer Abgasnorm zuordnen.

Im Fokus der Diskussion über Emissionen aus dem Auspuff stehen Stickoxide (chemisch NOx) und Partikel bzw. Feinstaub. Die vom Gesetzgeber in Gestalt der Europäischen Union beschlossenen und auf Nationalstaatsebene durchs Kraftfahrtbundesamt durchgesetzten Limits sind seit dem Typprüfungsdatum 1. September 2014 konstant: Für Pkw mit Ottomotor sind maximal 60 Milligramm (mg) NOx pro Kilometer (km) erlaubt. Die Partikel sind auf 4,5 mg / km in der Masse (PM) und auf 6* 1011 in der Zahl (PN) begrenzt. Für Pkw mit Dieselmotor sind die gleichen Partikelgrenzwerte in Kraft. Bei den NOx-Emissionen dagegen dürfen die Selbstzünder mit 80 mg / km ein Drittel mehr ausstoßen als die Benziner; es gibt gewissermaßen einen Nachlass für den in vielen EU-Staaten äußerst beliebten Dieselmotor.

Versteckte Verschärfung der Werte

Obwohl die Grenzwerte von Stickoxiden (NOx) und Partikeln (PM, PN) über Jahre auf einem unveränderten Niveau verharren, muss immer wirksamere Abgasreinigungstechnik eingebaut werden. Das liegt an einer permanenten versteckten Verschärfung: Die Bedingungen, unter denen gemessen wird, werden immer realistischer und folglich anspruchsvoller. Lücken im Messverfahren, die früher großzügig hingenommen wurden, werden sukzessive geschlossen.

So hat das Verfahren WLTP (abgekürzt für Worldwide harmonized Light vehicle Test Procudere) den veralteten NEFZ (für Neuer Europäischer Fahrzyklus) abgelöst. Die Geschwindigkeitskurve, die von einem Testfahrer auf einem Laborprüfstand befolgt werden muss, ist bei WLTP dynamischer und schneller als im NEFZ. Mehr Gas geben bedeutet mehr Emissionen – und im Ergebnis die Notwendigkeit eines besseren Reinigungsmechanismus‘, um identische Nominalgrenzwerte einzuhalten. Darüber hinaus definiert das Verfahren WLTP etliche Unterpunkte, die beim NEFZ offener oder gänzlich ungeregelt waren. Dazu gehört zum Beispiel eine festgelegte Umgebungstemperatur von 23 Grad statt eines Fensters von 20 bis 30 Grad. Übrigens: Die Klimaanlage ist immer noch ausgeschaltet.

Die wohl deutlichste qualitative Änderung erfolgte mit der Einführung der Euro 6d-TEMP, die für Typprüfungen ab dem 1. September 2017 und für Neuzulassungen ab dem 1. September 2019 in Kraft trat: Neben dem WLTP müssen die Grenzwerte im RDE eingehalten werden. RDE steht für Real Driving Emissions. Hierbei werden die Abgase auf echten Straßen mit einem mobilen Gerät gemessen. Die Rahmenbedingungen bei RDE sind ebenfalls definiert, aber naturgemäß nicht so reproduzierbar wie auf dem Laborprüfstand. Um die Hersteller nicht zu sehr unter Druck zu setzen, dürfen die Messwerte bei RDE für Euro 6d-TEMP um den Faktor 2,1 (NOx) bzw. 1,5 (Partikelzahl) über dem Laborlimit liegen.

Stärkste Hardwareänderung seit dem 3-Wege-Kat

Diesem Rabatt zum Trotz ist mit der Einführung der Euro 6d-TEMP-Abgasnorm die stärkste flächendeckende Hardwareänderung seit dem 3-Wege-Katalysator erzwungen worden: Benzinmotoren mit Direkteinspritzung emittieren anders als traditionelle Saugrohreinspritzer Feinstpartikel. Diese Benzindirekteinspritzer benötigen jetzt einen Filter. Ein Bauteil, das inzwischen als weitere Lage im Katalysator integriert wird und vergleichsweise kostengünstig ist. Aufwändiger und teurer ist der SCR-Katalysator für Selbstzünder: Ohne die Einspritzung einer wässrigen Harnstofflösung (Handelsname: AdBlue), die in einem Zusatztank mitgeführt wird, ist die Euro 6d-TEMP nicht zu schaffen.

Die erlaubte Abweichung im RDE in Höhe des Faktors 2,1 für Stickoxide wird mit der Euro 6d-Norm (ohne den Zusatz TEMP) auf 1,43 reduziert. Das ist ein Grund für die weiteren Bemühungen der Autohersteller: Volkswagen etwa hat mit der Vorstellung des Golf 8 TDI den Twin-Dose-SCR-Katalysator eingeführt; es gibt also eine doppelte Harnstoffeinspritzung. Und längst lässt sich mit Realtests nachweisen, dass aktuelle Pkw mit Dieselmotor genauso sauber sind wie jene mit Ottomotor. Im Vergleich zu Euro 5-Selbstzündern wurden die Stickoxidemissionen um über 90 Prozent reduziert. Der TDI an sich ist also rehabilitiert – was in der Öffentlichkeit noch nicht durchgehend angekommen ist.

Weitere Kürzel sorgen für Verwirrung

Wer heute in den Konfigurator eines Autoherstellers guckt, ist neben der Abgasnorm – zurzeit kann es entweder die Euro 6d-TEMP oder die Euro 6d sein – mit weiteren Kürzeln konfrontiert: EVAP, ISC und FCM sorgen für zusätzliche Verwirrung. EVAP bezeichnet die Begrenzung der Verdunstungsemissionen, die aus dem Kraftstoffbehälter entweichen können. Ein Aktivkohlefilter bindet beim Parken gasförmige Kohlenwasserstoffe, die nach dem Start verbrannt werden.

Hinter ISC verbirgt sich die In Service Conformity. Damit ist gemeint, dass die Abgasnachbehandlung dauerhaft funktionieren muss. Nicht nur Neuwagen, auch jene im Bestand müssen die gesetzlichen Grenzwerte einhalten. Die ISC steht in der EU im Vergleich zu den USA am Anfang. In einem ersten Schritt sollen sich Labore – ähnlich oder identisch mit denen, die auch die Typgenehmigung prüfen – ein Akkreditierungsverfahren durchlaufen, um später die ISC bei Pkw im Bestand durchführen zu können. Die Norm hierfür heißt Euro 6d-ISC und ist zeitgleich mit der Euro 6d-Temp-EVAP-ISC in Kraft: Bis zum 31. Dezember 2020 laufen Typgenehmigung und Erstzulassung parallel, wobei die Euro 6d-ISC freiwillig und die Euro 6d-Temp-EVAP-ISC das Mindestmaß ist.

Mit FCM wird das Fuel Consumption Monitoring abgekürzt. Der tatsächliche Kraftstoffverbrauch eines Autos muss gemessen und gespeichert werden – das tun die Hersteller ohnehin – und nach Brüssel gemeldet werden. Seit dem 1. Januar 2020 lautet die Vorgabe für Typprüfungen Euro 6d-ISC-FCM (EVAP ist mit enthalten, wird aber hier weggelassen). Bis zum 31. Dezember 2020 sind auch noch Pkw nach Euro 6d-Temp-EVAP-ISC sowie nach Euro 6d-ISC erstzulassungsfähig, danach nicht mehr. Es ist kaum verwunderlich, dass große Fachabteilungen an der Erfüllung der Grenzwerte arbeiten. Eine Definition oder einen Startzeitpunkt für die Euro 7 gibt es derweil noch nicht – darüber wird gerade verhandelt.

Christoph M. Schwarzer

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