Auf der Tire Cologne hat Falken mit dem „e.ZIEX“ den ersten Reifen präsentiert, der speziell für Elektro-Fahrzeuge entwickelt wurde. Wie beurteilen Sie als Reifenhersteller den Wechsel hin zur E-Mobilität?
Andreas Giese: Die Autohersteller geben die Schlagzahl vor – und wir müssen damit Schritt halten. Aber vom Grundsatz her können wir als Reifenhersteller der Entwicklung gelassen entgegensehen. Solange die Autos auf der Straße rollen und nicht fliegen, werden wir genügend zu tun haben.
Wo liegen für einen Reifenhersteller die größten Herausforderungen bei der Entwicklung von Reifen für E-Autos?
Andreas Giese: Bei den Produkten gibt es in technologischer Hinsicht nachhaltige Veränderungen. Das liegt an den spezifischen Besonderheiten von E-Autos. Zum einen haben wir ein deutlich höheres Fahrzeuggewicht. Eine Batterie wiegt 600 bis 700 kg – und wir reden noch gar nicht vom Lkw. Dazu kommt, dass wir eine stufenlose, direkte Übertragung der Motorkraft haben, die es bei einem Automatik- oder Schaltgetriebe so nicht gibt. Daher ist der Abrieb der Reifen viel höher. Wir Reifenhersteller sind gefordert, hier die richtige Balance herstellen. Ziel ist es, den Rollwiderstand so gering wie möglich zu halten, um die Batteriekapazität zu schonen. Dazu kommen Aspekte wie Halbbarkeit, Bremsperformance, Handling, aber auch die vielfältigen Vorgaben in Sachen Umweltschutz. Wir müssen daher andere, weitaus hochwertigere Materialien verwenden, die aber auch teurer sind.
Welche Auswirkungen ergeben sich daraus auf die Produktion?
Andreas Giese: Unterm Strich sind das alles Herausforderungen, die die Produktion komplexer machen. Dazu kommt, dass wir in den nächsten Jahren zweigleisig fahren müssen, da unsere aktuellen Produkte für Diesel und Benziner noch bestimmt zehn Jahre laufen werden. Allein in den Hauptländern Europas gibt es rund 36 Millionen zugelassene Fahrzeuge. Wir haben also einen Markt an bestehenden Fahrzeugen und einen wachsenden Markt mit E-Fahrzeugen. Unsere Modellpalette daher wird zumindest für eine Übergangsphase sehr komplex sein.
Wie kommt der Reifenhandel damit klar?
Andreas Giese: Der Reifenhandel wird sich darauf einstellen müssen, daran führt kein Weg vorbei. Die Entwicklung ist letztlich für alle eine Herausforderung. Die Händler brauchen wegen der Produktvielfalt vor allem Platz. Dazu kommt noch der Trend, dass die Reifen wegen der schwereren Fahrzeuge immer größer werden. Bei den E-Autos werden selbst Kleinwagen mit sehr großen Reifen ausgerüstet. Was früher 14 Zoll hatte, kommt heute mit 18 oder 19 Zoll auf den Markt. Das hat natürlich Auswirkungen auf den Handel. Der Einkauf wird teuer, der Platzbedarf im Lager wird größer.
Hat der Trend zu immer größeren Reifen Auswirkungen auf die Montage?
Andreas Giese: Nein, eigentlich nicht. Wir hatten mal ein Thema mit Runflat-Reifen, das haben heute aber alle Werkstätten im Griff. Die Reifen der neuen Generation lassen sich normal montieren. Man braucht aber natürlich das Equipment für höhere Zoll-Bereiche. Es ist abzusehen, dass 20, 21 oder 22 Zoll irgendwann normal sein werden. Selbst 23 Zoll-Reifen wird es geben.
Warum werden die Reifen immer größer? Geht es nur um Design oder gibt es auch technische Gründe?
Andreas Giese: Die Reifen werden größer, weil die Fahrzeuge immer schwerer werden. Wir sprechen mittlerweile nicht mehr von XL-Reifen, sondern von XXL-Reifen. Die großen Elektroautos haben so viel Gewicht, dass diese Reifengrößen notwendig sind. Zu Anfang hieß es bei E-Autos noch, dass die Reifen klein, schmal und hoch sein sollen. Das war zum Beispiel beim BMW i3 noch gut zu sehen. Das hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert.
Auf dem Reifenmarkt sind mittlerweile verschiedene Hersteller aus China wahrzunehmen. Was ist von dieser Seite zu erwarten?
Andreas Giese: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Es wird zukünftig sicherlich den einen oder anderen Marktbegleiter aus China geben, der erfolgreich sein wird. Die Chinesen haben immer den Vorteil des Skalierungseffekts. Mit 1,4 Milliarden Menschen hat man nun einmal viele Möglichkeiten. Dazu kommt, dass chinesische Firmen auch im Reifenbereich bereits die ersten Produktionswerke in Europa gebaut haben. Gleichwohl denke ich, dass wir technologisch noch einen Vorsprung haben. Aber das kann sich ändern. Die Entwicklung geht sehr schnell.
Wo produziert Falken die Reifen für den europäischen Markt?
Andreas Giese: Etwa 80 Prozent produzieren wir in der Türkei. Dort haben wir 2016 ein sehr modernes Produktionswerk in Betrieb genommen. Darüber hinaus produzieren wir in Japan und in Thailand.
Welche Bedeutung hat bei Ihnen das Aftermarket-Geschäft?
Andreas Giese: Das Retail-Geschäft hat eine sehr große Bedeutung für uns. Wir reden von einem Volumen von etwa 80 Prozent im Aftermarket und 20 Prozent in der Erstausrüstung. Um schnell und zuverlässig Handel und Werkstätten beliefern zu können, haben wir über die Jahre europaweit ein Netzwerk von lokalen Lagerkapazitäten aufgebaut, welches von Nordschweden bis hinunter nach Spanien und Italien reicht.
Der Motorsport ist sicherlich ein Highlight für Falken. Was verbinden Sie mit dem Engagement?
Andreas Giese: Die Falken-DNA liegt im Motorsport. Da kommen wir her, da schlägt unser Herz. Wir sehen aber natürlich auch, dass sich auch hier einiges im Bewusstsein der Menschen verändert hat. Ich weiß nicht, ob wir in zehn Jahren noch mit Verbrennermotoren fahren werden. Deshalb überlegen wir auch dort, wie man die Transformation schaffen kann.
Kann Motorsport ohne echte Geräusche überhaupt funktionieren?
Andreas Giese: Ich glaube, das ist eine Generationenfrage. Ich komme auch aus der Generation, bei der es möglichst laut sein musste. Aber das verändert sich. Die Jugend tickt heute anders. Letztlich geht es im Motorsport immer darum, Emotionen zu wecken. Und vielleicht spielt der Sound irgendwann keine Rolle mehr. Der Nervenkitzel kann sich auch anders ergeben. Aber es ist natürlich schwer zu sagen, in welche Richtung es sich entwickeln wird. Unterm Strich wissen wir aber alle, dass die Ressourcen auf der Welt endlich sind. Und wir wissen, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher.