„Als Ritt auf der Rasierklinge“, beschrieb Präsident Michael Ziegler bei der Jahrespressekonferenz des Verbandes des Kraftfahrzeuggewerbes Baden-Württemberg in Stuttgart, was dem Kraftfahrzeuggewerbe aus seiner Sicht im laufenden Jahr und den kommenden Jahren bevorsteht. Im Sinn hatte er bei seiner drastischen Formulierung vor allem den Fahrzeughandel. „Wir haben seit über einem halben Jahr einen drastisch sinkenden Auftragseingang“, warnte Ziegler. Zugleich stehe für die Kunden ihre bezahlbare individuelle Mobilität auf dem Spiel. Zunehmend würden die Händler die Folgen der „Neuaufteilung des Marktes“ spüren: Auf der einen Seite stünden die etablierten Hersteller, die über Agentursysteme nach höheren Renditen zu Lasten der Autohäuser und Kunden streben würden. Auf der anderen Seite stünden chinesische Hersteller bereit, um „in die sich auftuenden Lücken zu stoßen.“
Michael Ziegler und Verbandspressesprecherin Birgit Leicht beleuchteten die Entwicklung aus Sicht der Betriebe und deren Kunden. Alle Zahlen belegten die herausragende Position des Autos bei der Erfüllung der Mobilitätswünsche der Menschen. „Der motorisierte Individualverkehr sichert mit 73,6 Prozent fast drei Viertel der individuellen Mobilität“, betonte Ziegler. Deswegen sei es ernst zu nehmen, „wenn sich die Menschen inzwischen sorgen, sich kein Auto mehr leisten zu können“.
Steigende Preise sorgen Umsatzanstieg
2022 war der Markt in Baden-Württemberg von steigenden Preisen gekennzeichnet, fasste Birgit Leicht dessen Entwicklung zusammen. So wurden zwar fast 134.000 Neu- und Gebrauchtwagen weniger verkauft, aber höhere Preise sorgten dafür, dass „der Gesamtumsatz im Mobilitätsmarkt im Land um fast 2,8 Milliarden Euro (8,5 Prozent) auf 35,4 Milliarden Euro gewachsen ist“. Der Anteil des Kraftfahrzeuggewerbes stieg dabei allerdings unterproportional um 936,7 Millionen Euro oder 3,8 Prozent und beträgt jetzt gut 25,4 Milliarden Euro oder 71,8 Prozent am Gesamtumsatz.“ Das Gewerbe teile sich den Markt mit zwei anderen Akteuren. „Da sind einerseits die Verkäufe von Privat an Privat im Gebrauchtwagenbereich. Andererseits treten die Autohersteller beim Neuwagenverkauf als direkte Konkurrenz zum Handel über unsere Betriebe auf“, so Leicht.
Das Agieren der Hersteller sieht Verbandspräsident Ziegler dabei besonders kritisch: „Durch die Online-Affinität der Kunden versuchen die Hersteller immer stärker, Wertschöpfung aus dem Handel abzuziehen.“ Rund 142.000 Neuwagen oder knapp 39 Prozent der 2022 im Land ausgelieferten Pkw seien direkt über die Vertriebskanäle der Hersteller gelaufen. „Mit Agentursystemen greifen die Hersteller die Wurzeln des Autohandels an“, bringt Michael Ziegler das zweite Problem auf den Punkt, „weil Hersteller den Handel durch Agenturmodelle gefährden, wenn es keine fairen Vergütungen gibt“. Das gelte nicht nur im Neuwagen-, sondern auch im Gebrauchtwagenbereich. „Mit dem Agentursystem erlangen die Hersteller Zugriff auf Rückläufer beispielsweise aus Leasingverträgen. Aber das Gebrauchtwagengeschäft ist für die Erträge der Händler und die Wirtschaftlichkeit der Autohäuser von zentraler Bedeutung. Wenn sich dieses zu den Herstellern verlagert, hat das gravierende Auswirkungen auf die Ertragslage der Händler“, so der Verbandspräsident.
Werkstätten gut aufgestellt
Bei den Werkstätten sieht der Verband die Kfz-Betriebe gut aufgestellt. Das lasse sich auch beim Werkstattverhalten ablesen. Der Service hat mit 3,8 Milliarden Euro um 10,8 Prozent zugelegt. Eine gestiegene Stammkundenquote in Werkstätten, ein weiterhin hohes Wartungsverhalten, aber weniger Reparaturarbeiten seien laut DAT die aktuellen Folgen der bisherigen Entwicklung. Allerdings sei laut Ziegler auch die gute Position der Werkstätten in Gefahr: „Bei Fahrzeugdaten laufen schon die ersten Angriffe seitens der Hersteller.“ Mit Blick auf die Zukunft der Werkstätten sei auf EU-Ebene die Datenfrage ein Schlüsselproblem, denn die Hersteller versuchten die fahrzeuggenerierten Daten für sich zu monopolisieren.
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